Inhaltsverzeichnis
Zur Aktualität vergangener Diskurse. Der Blick zurück eröffnet Perspektiven nach vorn – Ein Vorwort
Von Welf Schröter
1. Technikwandel und Volksparteien
2. Akteure und Arenen
2.1 Politikakteure oder Technikagierte?
2.1.1 SPD: Technischer Wandel mit Intervention?
2.1.2 CDU: Technischer Wandel mit Marktkonkurrenz?
2.2 Gemengelage bei der Genese der TK-Diskussion
2.2.1 Programmbezüge und Zeitrahmen
2.2.2 Strategiewechsel der Volksparteien
2.2.3 Querschnittspolitik oder Politikvermischung?
2.2.4 Technisch-ökonomische Problemlage
3. Phase I: 1972–1978
3.1 Modernisierung oder Marktwirtschaft?
3.2 SPD: Modernisierung und Planung
3.2.1 Medienreform und Planung
3.2.2 Politische Planung im Regierungshandeln
3.2.3 Modernisierung der Volkswirtschaft
3.2.4 Lenkungs-Angebote nach Gesellschaftsbedürfnissen?
3.2.5 Bruchstellen des Modernisierungskonzepts
3.3 CDU: Marktwirtschaft und Technologiepolitik
3.3.1 Grundmuster der CDU-Technologiepolitik
3.3.2 TA als Modernisierungskontrolle
3.3.3 Indirekte Förderprinzipien
3.4 SPD: Modernisierung und Medienreform
3.4.1 Initialzündung TK-Diskussion
3.4.2 Ernüchterung der Modernisierer
3.4.3 Medienpolitik statt Fernmeldepolitik
3.5 CDU: Medienpolitik oder Fernmeldepolitik?
3.5.1 Problemeinstieg Medienpolitik
3.5.2 Prägungsmuster Pilotprojekt Kassel
3.5.3 Reaktionen auf das Modernisierungskonzept
3.6 SPD/CDU: Modernisierung und Liberalisierung
3.6.1 Aktive „Verwaltung“ versus Liberalisierung
3.6.2 SPD-CDU-Rollenwechsel?
4. Phase II: 1978–1981
4.1 Bestandswahrung oder Veränderung?
4.2 SPD: Bestandswahrung und Risikodiskussion
4.2.1 Bestandswahrung Medienentwicklung
4.2.2 Technikskepsis und Technologiepolitik
4.2.3 Bewahrungsstrategien in den Ministerien
4.2.4 Denkpausen-Strategien
4.3 CDU: Veränderung und Verwirrung
4.3.1 Elf-Städte-Verkabelung aus Oppositionssicht
4.3.2 Wirtschaftsprogramm wider Investitionslenkung
4.3.3 Technologiepolitisches Konzept 1980
4.3.4 Doppelstrategie für Monopolabbau
4.4 Strategiewechsel Baden-Württemberg
4.5 Konfliktstoff für sozialliberale Koalition
4.6 Techniklobby gegen Denkpausen
5. Phase III: 1981–1987
5.1 Neuorientierung oder Anpassung?
5.2 SPD: Neuorientierung in der Rückschau
5.2.1 Modernisierung mit Oppositionseffekten
5.2.2 Industriepolitik ohne Entscheidung
5.2.3 „Technologiepolitische“ Medienpolitik
5.2.4 Medienpolitik ohne Alternative?
5.2.5 Modernisierung und Sozialverträglichkeit?
5.2.6 Staats- oder Marktsteuerung?
5.2.7 Akteursverlust durch Postreform
5.2.8 Dialogorientierte Wirtschaftspolitik
5.3 CDU: Anpassung in der Vorausschau
5.3.1 Arrondierung Technologiepolitik
5.3.2 Regierungsverantwortung und Sachzwänge
5.3.3 Innovationspolitik ohne Weltmarkt
5.3.4 Regierungsbericht „Informationstechnik 1984“
5.3.5 Medien-Visionen und Medien-Realitäten
5.3.6 Planungssicherheit und Infrastrukturpolitik
5.3.7 TA-Konzeptentwicklungsarbeit
5.3.8 Erarbeitung Industriepolitik
5.4 CDU/SPD: Technologiepolitische Mittelstandslücke
5.5 Zukunftskonzept Informationstechnik
6. Strategien auf dem Prüfstand
6.1 Orientierungssuche oder Neuanfang?
6.2 „Informationelle“ Ernüchterung
6.2.1 Kabeldämmerung und Kabelattraktion
6.2.2 Zur Lage der Technik und des Sektors
6.3 „Marktwirtschaftliche“ Industriepolitik
6.4 „Dialogorientierte“ Technologiepolitik
6.5 Europäische Innovationspolitik?
7. Literaturverzeichnis
Namensverzeichnis
Zum Autor
Aus dem Vorwort
Wer sich heute nüchtern und fernab von Marketing-Parolen mit den strukturellen Problemen der digitalen Transformationen von Unternehmen und Arbeitswelten befasst, wird bei seriöser Erörterung schnell zu dem Schluss kommen, dass nicht unwesentliche Teile heutiger Hemmnisse auf unzureichendes politisches Handeln in den achtziger und neunziger Jahren zurückzuführen sind. Die heutigen Missstände auf den Gebieten der digitalen Infrastrukturen, der Internet Governance und der digitalen Industriepolitiken haben ihre Ursachen vor allem im Nicht-Handeln zurückliegender Politik-Generationen.
Die parteipolitischen Blockaden auf Landes- und Bundesebene in der Telekommunikations-, Technologie- und Industriepolitik des letzten Jahrhunderts sind für Standortverluste, industrielle Abwanderungen und Fehlinvestitionen wesentlich mitverantwortlich. Dies zu erkennen und herauszuarbeiten ist das Verdienst einer umfangreichen wissenschaftlichen Promotionsarbeit, die Dieter Klumpp Mitte der neunziger Jahre vorlegte. Seine umfangreichen Quellenstudien und präzisen Analysen sowie seine Sachkenntnis der damals aktiven Diskurse haben ein bestürzendes Ergebnis erbracht: „Der Verlauf der TK-Diskussion hat gezeigt, daß die Beziehungen der Parteiprogrammatiken und der jeweiligen Politiken von vielen Mißverständnissen, Perzeptionsdefiziten und tagespolitischen Aufgeregtheiten, kurz: von einem Mangel an Professionalität gekennzeichnet waren.“
Seine nur scheinbar „veraltete“ Dissertation hat in den gegenwärtig auffallend geschichtslos geführten Debatten, in denen seit langem vorhandene Technologieentwicklungen und Organisationsmodelle als überraschend und vermeintlich neue Innovationen gehandelt werden, eine hohe Aktualität und Relevanz. Dies gilt umso mehr, wenn man den verbalen Nebel der Wortverzauberungen in den Pressesprachen von nicht wenigen Parteien, Verbänden und Institutionen beiseite schiebt.
Jene, die schon länger in öffentlichen Diskursen zugegen sind, erinnern sich an die Kampagnenbegriffe der letzten drei Jahrzehnte: Der „fünften Computergeneration“ folgte die „Informatisierung der Arbeit“. Dann nahm das Schlagwort „Multimedia“ seinen Weg, bevor „E-Commerce“, „E-Business“ und „E-Government“ dominierten. Kurz darauf war alles „smart“: „Smart Factory“, „Smart Government“, „Smart Business“. Doch nicht genug: Mit „Industrie 4.0“ griff der sprachliche Hype auf alles zu und verwandelte auch gesellschaftliche Felder in „Vier-Null“-Horizonte. Derzeit lautet das Code-Wort des Sprach-Rausches „Künstliche Intelligenz“. Bald wird wohl nach „KI“ von „Neuro“ und anschließend von „Organic“ zu hören sein. Solche geplanten Wortpolitiken sollen zum Vergessen verleiten, zum Ent-Integrieren von Zusammenhängen und zum Abschiednehmen von der eigenen Geschichtlichkeit nicht nur des technologiepolitischen Handelns.
Das Bedauerliche an solchen Formelansammlungen liegt zudem nicht in ihrer sprachlichen Leere sondern vor allem darin, dass sie längst vorhandene technische und organisatorische Lösungen mit neuer Sprachverpackung immer wieder als gerade frisch entwickelt verkaufen wollen. Bei ehrlicher Sichtweise müsste man einräumen, dass die derzeit historisch-bezugsfrei zelebrierte Technologiepolitik-Inszenierung sich zumeist maximal als „nachholende Digitalisierung“ fassen lässt.
Mit solcherart gezielter Sprachpolitik wird der Zugang zur Technik- und Technologie- sowie Technikgestaltungsgeschichte zunehmend verstellt. Abgelöst von Erfahrungen und dialektischen Aufhebungen wird alle vier bis fünf Jahre eine Technik-„Stunde-Null“ propagiert, um von Niederlagen und gescheiterten Vorhaben abzulenken. Die Arbeit von Dieter Klumpp betont die hohe Bedeutung einer historischen Einbettung und gesellschaftspolitischen Bewertung der öffentlichen Technikdiskurse, um methodisch den Antworten auf die Fragen „Wo kommen wir her? Wo wollen wir hin?“ substanziell näher zu kommen.
Die geistige Wanderung durch die Telekommunikationsdebatten der letzten drei Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts stellt ein anregendes Lehrstück dafür dar, wie aus dem Scheitern ein besseres Handeln abgeleitet werden könnte. Dieter Klumpps Werk bringt uns inhaltlich und methodisch – komplementär zur Technikdebatte – einen Grundsatz geschichtswissenschaftlichen Denkens zurück: Es gibt nichts, das monokausal begründet werden kann. Deshalb ist die multikausale Einbettung der parteipolitischen Kontroversen und Eingrenzungen um die Technologie- und Industriepolitik, deren unzureichende Umsetzungen sowie die gesamtgesellschaftlichen Interdependenzen von Technikimplementierungen von zentraler Bedeutung.
Die sezierende Wendung zurück eröffnet Perspektiven nach vorn und zeigt die Aktualität vergangener Diskurse. Gerade auch der heutige Blick auf das Chancenpotenzial europäisch integrierter Technologiepolitiken in ein Gesamtkonzept zeigt via Klumpp die historischen Unzulänglichkeiten des damaligen europäischen Ansatzes auf. Es klingt lakonisch, wenn wir heute seine Zeilen aus dem Jahr 1994 lesen und uns an die Gegenwart erinnern: „Es ist kaum damit zu rechnen, daß eine solche europäische Infrastrukturpolitik mit ihren unverhüllten Interventionismen, mit ihrem unverhüllten Einbinden der Großindustrie, mit ihrer unverhüllten Aufgabe nationaler Souveränitäten in einer der beiden großen Parteien in den nächsten Jahren ernsthaft betrieben würde.“ Ironisch bissig skizziert er das Verhalten der beiden damaligen großen Volksparteien: „Die Dinge auf der Welt sind nun einmal so, man hat sich untereinander arrangiert, außerdem ist das Ganze ja schließlich Sache der ‚Global Players‘ in der Telekommunikationsbranche.“
Ein zartes Pflänzchen sozialer Innovation war im letzten Jahrhundert nur wenige Zentimeter gewachsen, bevor der Rasenmäher parteipolitischer Machtpolitik darüber hinweg fuhr. Ein dialogorientierter Ansatz und ein Prozess moderierter Aushandlung hätte eine Perspektive für die Jahrtausendwende sein können, um eine Reihe von Hindernissen der „Vier-Null“-Gegenwart zu vermeiden. Dieter Klumpp nimmt ernüchternd eine Antwort vorweg, die sicher in zahlreichen Positionspapieren der damaligen Zeit zu finden wäre:
„Dialogorientierte Technologiepolitik braucht Zeit, die der Weltmarkt und vor allem der weltweite Wettbewerb in der Triade derzeit einzuräumen nicht bereit ist.“ Zu Recht stellt dabei der Autor immer wieder die Frage nach der politischen Steuerung von Technologiepolitik und nach der Rolle des Staates angesichts immer komplexer werdender technischer Innovations- und Implementierungsprozesse.
Eine zusätzliche Aktualität erhält das vorliegende Werk angesichts der Herausforderungen von regionalen oder globalen Pandemien wie etwa Corona. Monika Ermert hat in diesem Zusammenhang und unter Bezug zu den Debatten über mögliche konzertierte Normenentwicklungen im Rahmen des European Dialogue on Internet Governance (EuroDIG) zurecht auf die auch heute noch bestehenden Politik-Defizite verwiesen: „Eine zentrale Frage dabei lautet, wie lassen sich die zwischen Wirtschaft, Technikern, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft abgestimmten Ideen in die Parlamente mit einbringen. Allzu oft klaffen zwischen Bekenntnissen bei den Foren und der gesetzgeberischen Praxis riesige Lücken.“
Im Hinblick auf die Differenz zwischen Ideen und Umsetzung bietet das umfangreiche Klumpp’sche Traktat den Lesenden die Chance und den Anlass, die Notwendigkeit der zukunftsbezogenen Handlungsorientierung wiederzuerkennen. Was nützen alleinige große Investitionen in „Gaia X“ oder in „Cyber Valley“, wenn es keine verbindliche Strategie der Technikgestaltung dazu gibt? Das „Weißbuch“ der EU wird dazu nicht ausreichen. Es genügt ebenfalls nicht, nur Umfragen unter der Bürgerschaft durchzuführen und um isolierte Meinungen zu bitten. Es geht um mehr. Es geht um eine starke Partizipation gemäß transparenter und nachvollziehbarer sowie rechtlich abgesicherter Regeln für zivilgesellschaftliche Einmischungen. Wissenschaftsfreiheit bedeutet ja nicht Anwendungsfreiheit. Fortschrittliche technische Innovationen müssen eingebettet sein in fortschrittliche gesellschaftliche Innovationen sowie in die noch nicht überall selbstverständliche Gleichberechtigung der Geschlechter. Der allein technikzentrierte Ansatz führt zudem in nicht selten nur zu teuren Technikruinen. Die vermeintlich „menschenleere Fabrik“ alias „CIM“ hat es gezeigt. Der freiwillige und nicht bindende Ethik-Codex von anwendenden Akteurs-Clustern drängt letztlich den arbeitenden Menschen und die Verbraucherinnen wie auch Verbraucher in eine begrenzte Objekt- oder Konsum-Rolle. Progressive Technikentwicklungen sind jedoch von progressiven Technikpolitikansätzen nicht zu trennen.
Die noch viel zu passive Haltung der meisten Parlamentarierinnen und Parlamentarier demonstriert das eigentliche „Innovationshemmnis“: Der fehlende bzw. unzureichend geebnete Weg hin zu politischer, gesellschaftlicher und partizipativer Technikgestaltung und weg von der unvollkommenen Praxis der Interdisziplinarität. Es ist nicht zu verstehen, warum es starken Kräften gelingen will, sozial- und gesellschaftswissenschaftliche Analysen und Perzeptionen aus dem Kern der Entwicklung der sogenannten „Künstlichen Intelligenz“ hinauszudrängen und in organisatorisch sowie diskursiv abgetrennte Räume zu verlagern. Die Chancenpotenziale kluger technischer Lösungen zum Beispiel im Bereich der Umwelt- und Klimaschutzpolitik lassen sich nicht ausreichend heben, weil die Rolle der Staatsbürgerin (Çitoyenne) und des Staatsbürgers (Çitoyen) in den lückenhaften Konzepten der Technikgestaltung nicht selten nur als Zuschauer vorkommt.
Klumpp zu folgen hieße, die Lehren aus den zurückliegenden Jahrzehnten mit ihren immer wieder nur mäßig kompetenten Technologiepolitikkonzepten und ihren unübersehbaren Niederlagen zu ziehen. Solange nur einseitig die Dominanz von Markt und Wettbewerb als Maxime der Technikinvestitionen gilt, werden jene Fragestellungen, die bereits ein globales Ausmaß erreicht haben, sonntags zwar genannt, aber ab Montag beiseite geschoben: Die planetarische Dimension der Klimakrise, die fehlenden Maßnahmen für glaubwürdige globale Bildungsstrategien und die Konversion von Rüstungsforschung wie auch Rüstungsproduktion. Eine gute und nachhaltige Technologiepolitik benötigt die Stärkung einer selbstbewussten Zivilgesellschaft, die mit Technikinnovationen souverän und offensiv umgeht. Ferner müssen kluge Regulierungen für die TK-, IT- und Datenmärkte gefunden und durchgesetzt werden, um globale Zugänglichkeiten zu erleichtern und soziale Ungleichgewichte zurückzudrängen. Davor sollten jene, die in technische Innovationen investieren wollen, keine Angst haben.
Dieter Klumpps Review der Technik- und Politikgeschichte der achtziger und neunziger Jahre hat deshalb stets einen Gedanken nicht obsolet werden lassen: Die verlässlichen Beteiligung der Nutzerinnen und Nutzer, der Anwenderinnen und Anwender in den herausfordernden Vorgängen einer kooperativen und partizipativen Technikgestaltung und eines inklusiven Spezifizierungsprozesses. […]