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sammlung kritisches wissen - Band 83

Heidi Beutin, Wolfgang Beutin, Heinrich Bleicher-Nagelsmann, Herbert Schmidt, Claudia Wörmann-Adam (Hg.)

„Zu sagen was ist, bleibt die revolutionärste Tat“
Revolutionen und Rebellionen im 20. Jahrhundert

Mit Beiträgen von Gerhard Engel, Heinrich Bleicher-Nagelsmann, Jost Hermand, Hans-Ernst Böttcher, Wolfgang Uellenberg-van Dawen, Wolfgang Beutin, Heidi Beutin, Alexander Bahar, Johann Dvorák, Olaf Walther, Grazyna Barbara Szewczyk, Thomas Voß, Gabriele Loges, Heiner Wittmann, Welf Schröter, Claudia Wörmann-Adam, Herbert Schmid

2019, 383 Seiten, 29,00 €
ISBN 978-3-89376-184-5

„Für uns […], die zum Hundertjährigen die wirklichen Errungenschaften der Revolution herausstellen wollten, war wichtig, auch zu sehen, was sich inzwischen an der Beurteilung und Einschätzung der Revolution verändert hat. Dies nicht nur im deutschen Kontext, der sich ja auch durch die Vereinigung von BRD und DDR verändert hat, sondern auch an europäischen Entwicklungen. Nicht nur im Vergleich zum Zeitpunkt 1918/19 wie in Österreich, sondern auch am Beispiel der 68er Bewegung in Frankreich, der Tauwetterperiode von 1956/57 in Polen und dem Aufbruch durch Solidarnosc 1980. Einen Blick auf einen anderen Kontinent bietet der Vortrag ‚Verlorene Liebe‘ von Claudia Wörmann-Adam über die sandinistische Revolution in Nicaragua. Sie war für viele westdeutsche Linke ein leuchtendes Beispiel für eine gelungene Revolution. Doch hier ist inzwischen Ernüchterung eingetreten. Nicht nur in großen Teilen der nicaraguanischen Bevölkerung, sondern auch bei einstigen Revolutionären wie Gioconda Belli, Sergio Ramirez und Ernesto Cardenal.“ (Aus dem Vorwort)

sammlung kritisches wissen - Band 83
( Talheimer Verlag )

€ 29.00 (inkl. 7 % MwSt.)


Inhaltsverzeichnis

 

Heidi Beutin, Wolfgang Beutin, Heinrich Bleicher-Nagelsmann, Herbert Schmidt, Claudia Wörmann-Adam
„Zu sagen was ist, bleibt die revolutionärste Tat“. Vorwort

Gerhard Engel
Die Revolution 1918/1919 im deutschen Geschichtsbild

Heinrich Bleicher-Nagelsmann
„Sie hatten es sich anders vorgestellt“. Alfred Döblins Erzählwerk November 1918

Jost Hermand
Expressionismus als Revolution

Hans-Ernst Böttcher
Von der Novemberrevolution zur Weimarer (Reichs-) Verfassung

Wolfgang Uellenberg-van Dawen
Rätedemokratie oder Mitbestimmung. Arbeiterbewegung in der Novemberrevolution 1918

Wolfgang Beutin
Sie wird „ewig mit goldenen Lettern in dem Buch der Menschheitsgeschichte leuchten“

Heidi Beutin
„Der bis dahin größte Schritt voran“. Frauen in der Novemberrevolution

Alexander Bahar
Der Kronstädter Aufstand

Johann Dvorák
Österreichische Revolution 1918 in den Schriften von Karl Kraus und Robert Musil

Olaf Walther
„In unsern Händen liegt das neue Werden“. Carl von Ossietzky (1889–1938) und die Novemberrevolution

Grazyna Barbara Szewczyk
Die polnische Kultur der „Tauwetterperiode“ 1956/57

Thomas Voß
Solidaritätsstreik erkämpft freie Gewerkschaft. Der Aufbruch der Solidarnosc 1980

Gabriele Loges
„Man wird nicht als Frau geboren, man wird es“. Simone de Beauvoir und „Das andere Geschlecht“ – Gleichberechtigung als langer Weg

Heiner Wittmann
„Unsere Arbeit besteht darin, die realen Probleme der Arbeiterklasse deutlich zu machen“. Jean-Paul Sartre, der Intellektuelle, und die Arbeiter

Welf Schröter
„Die Frage der Vermittlung von Fern-Ziel und Nah-Ziel“. Die Bedeutung der Bloch’schen Philosophie für Rudi Dutschke

Claudia Wörmann-Adam
Verlorene Liebe. Gioconda Belli, Ernesto Cardenal & Sergio Ramírez über die nicaraguanische Revolution und deren verratene Ideale

 

 

Aus dem Vorwort

 

„Zu sagen was ist, bleibt die revolutionärste Tat“ (Rosa Luxemburg) – Lange Zeit galt Sebastian Haffners Buch Der Verrat. 1918/1919 – als Deutschland wurde wie es ist (erschienen 1969) als eines der wichtigsten Bücher zur „Novemberrevolution“. Haffners Buch wurde allerdings auch diffamiert, da es mit der SPD-Politik unter Friedrich Ebert hart ins Gericht ging. Bei der zweiten Auflage, die 1970 erschien, konnte Haffner allerdings feststellen, dass die von ihm angeführten Fakten weiterhin richtig waren. Er räumte jedoch ein, dass die von ihm seinerzeit getroffene Aussage, die SPD hätte 1918/19 eine nie wiederkehrende Chance „für immer“ verspielt, nur bedingt zutreffe. Anfang der 70er Jahre war die SPD im Aufwind. Das lag daran, dass sich die politischen Verhältnisse auch durch die 68er Rebellion geändert hatten und Willy Brandt eine zukunftsgewandte Politik unter dem Motto „Mehr Demokratie wagen“ verfolgte.
Für uns […], die zum Hundertjährigen die wirklichen Errungenschaften der Revolution herausstellen wollten, war wichtig, auch zu sehen, was sich inzwischen an der Beurteilung und Einschätzung der Revolution verändert hat. Dies nicht nur im deutschen Kontext, der sich ja auch durch die Vereinigung von BRD und DDR verändert hat, sondern auch an europäischen Entwicklungen. Nicht nur im Vergleich zum Zeitpunkt 1918/19 wie in Österreich, sondern auch am Beispiel der 68er Bewegung in Frankreich, der Tauwetterperiode von 1956/57 in Polen und dem Aufbruch durch Solidarnosc 1980. Einen Blick auf einen anderen Kontinent bietet der Vortrag „Verlorene Liebe“ von Claudia Wörmann-Adam über die sandinistische Revolution in Nicaragua. Sie war für viele westdeutsche Linke ein leuchtendes Beispiel für eine gelungene Revolution. Doch hier ist inzwischen Ernüchterung eingetreten. Nicht nur in großen Teilen der nicaraguanischen Bevölkerung, sondern auch bei einstigen Revolutionären wie Gioconda Belli, Sergio Ramirez und Ernesto Cardenal.
Das Motto „Zu sagen was ist, bleibt die revolutionärste Tat“ stammt von Rosa Luxemburg, die damit auf eine entsprechende Aussage von Ferdinand Lassalle Bezug nimmt. Der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV), der neben August Bebel als Gründungsvater der Sozialdemokratie gilt, hatte allerdings nur von „einem gewaltigen politische Mittel“ gesprochen, während Rosa Luxemburg von einer „„revolutionären“ Tat spricht.
Ein sich auf Rosa Luxemburg berufender Berufsrevolutionär von 1968 hat, wenn man seinen Werdegang davor und danach anschaut, auch eine Wendung gemacht. Welf Schröter stellt in seinem Beitrag fest: „Es ist nicht zu verwegen, wenn man sagt, dass Rudi Dutschke mit Hilfe des Bloch’schen Werkes sein eigenes Denken auf ein neues theoretisch-praktisches Fundament setzte. Insbesondere die produktive Weiterentwicklung der Marx’schen Begriffe von ‚Fern-Ziel‘ und ‚Nah-Ziel‘ gesellschaftlichen Handelns durch die Bloch’sche Philosophie eröffnete dem Luckenwalder sowohl ein tiefergehendes Verständnis ungleichzeitiger Prozesse des Bewusstseins wie auch deren konkret-utopischer Interventionskraft.“
Klarer sind hundert Jahre nach der Novemberrevolution auch das historische Bild und die zutreffendere politische und nicht ideologische Bewertung der Ereignisse. Professor Gerhard Engel verdeutlicht den Platz der „Revolution 1918/1919 im deutschen Geschichtsbild“ in dezidierter Kenntnis der Forschungen aus der Perspektive sowohl der (ehemaligen) ost- und westdeutschen Historikerzunft. Im Einklang mit Historikern von heute wie Mark Jones und Joachim Käppner kommt er zu dem Schluss, „dass die geschichtswissenschaftlichen und publizistischen Aktivitäten des Jahres 2018 dem tatsächlichen Gewicht der Revolution vor 100 Jahren gerecht werden. Es möge alles Reden von einer ‚überflüssigen‘, ‚verlorenen‘ oder ‚vergessenen‘ Revolution verstummen, so dass die Revolution als großes Ereignis der deutschen Demokratie- und Sozialgeschichte endlich einen dauerhaften Platz im Geschichtsbild und in einem demokratischen Geschichtsbewusstsein der Deutschen einnehmen kann.“
In dem Beitrag von Hans-Erich Böttcher „Von der Novemberrevolution zur Weimarer (Reichs-) Verfassung“ werden wesentliche Errungenschaften, die mit der Revolution von 1918 erreicht wurden, thematisiert. Es sind dies insbesondere die republikanische Verfassung, das Frauenwahlrecht, der Achtstundentag und weitere arbeitsrechtliche und soziale Reformen, auf die auch Wolfgang Uellenberg-van Daven in seinem Beitrag eingeht. Hans-Erich Böttcher streicht in seinem Fazit heraus: „Die Konstruktion der Gewaltenteilung im demokratischen Staat mit der unabhängigen Justiz kann einen wichtigen und dauerhaften Beitrag zur Stabilität der Demokratie in ruhigen Zeiten leisten und ebenso und erst recht eine Stütze in Krisenzeiten sein […]. Das Grundgesetz ist die konsequent(er)e Fortsetzung der ‚Revolution im Recht‘, die sich aus der realen Revolution von 1918 ergeben und in der Weimarer Verfassung niedergeschlagen hat. Eine Grundvoraussetzung demokratischer und die Grundrechte achtenden Gesetzgebung und Rechtsprechung ist es […], auch beim Umgang mit Verfassung und Gesetz zu bedenken, dass es sich um revolutionäre Lava handelt, auch wenn sie nun geronnen, versteinert ist. Es ist permanente Aufgabe des Gesetzgebers und der Gerichte, sie lebendig zu erhalten.“
Professor Jost Hermand formuliert am Beispiel und Werdegang berühmter expressionistischer Autoren, die aufgrund der eigenen Erfahrungen aus dem zerstörerischen Ersten Weltkrieg eine neue zukunftsfähige Kunst und Gesellschaft forderten, den „Expressionismus als Revolution“. Er stellt und beantwortet in genauer Kenntnis der historischen Entwicklung die Frage: „Wie verhielten sich eigentlich die auf eine totale Menschheitswandlung bestehenden Expressionisten im Hinblick auf die innenpolitische Entwicklung nach dem 9. November 1918? Gaben sie auf oder versuchten sie weiterhin, als sich die Unmöglichkeit einer gesellschaftlichen Verwirklichung ihrer ins Utopische übergehenden Hoffnungen immer deutlicher abzuzeichnen begann, die von ihnen ersehnten Verbrüderungsträume in die Tat umzusetzen?“ Im sprachlichen Parforceritt, bebildert mit ausgewählten Werken herausragender Künstler, ist dieser Beitrag auch ein wahrer Lesegenuss.
Dies trifft auch auf das wohl beste literarische Werk zur Novemberrevolution zu: Alfred Döblins November 1918. Eine deutsche Revolution. Vollständig erschien es erstmals mit über 2000 Seiten zum 100. Geburtstag von Döblin. Der Literaturwissenschaftler Hans Mayer, der Döblin noch persönlich gekannt hat, zog in seiner Besprechung des Werkes das Fazit: „Größeres hat Döblin nicht geschrieben.“ In diesem Urteil traf er sich auch mit Bertolt Brecht, der ein langjähriger Freund Döblins gewesen war. November 1918 sei ein Roman vom Experimentalcharakter, „ein politisches und ästhetisches Unikum in der deutschen Literatur und ein Nachschlagewerk für alle Schreibenden, ein Triumph des neuen Typus eingreifender Dichtung“.

 

 

„Es gibt wohl kaum einen anderen KunstIsmus, über den man sich in Deutschland im frühen 20. Jahrhundert so erregt hat, wie über den Expressionismus. In den Dreck gezogen, als ‚entartet‘ bezeichnet oder überschwänglich gelobt: so lange schwankte das Bild des Expressionismus jahrzehntelang zwischen den ideologischen Fronten. Denn eine derartige Explosion politischer, emotionaler und künstlerischer Erregungsimpulse wie in dieser Bewegung, die ziellos nach allen Seiten auszubrechen schien, ließ sich einfach nicht übersehen. Im Hinblick auf das Ungestüme, Leidenschaftliche, Wildaufflackernde fühlten sich viele betroffen: ob nun die Rechten oder die Linken, die Engagierten oder die Nichtengagierten, die Spießer oder die Radikalinskis. Und so konnte es kommen, dass dieser Ismus als prokommunistisch oder präfaschistisch, als modernistischer Kunstausdruck oder bloßer Politabklatsch, als bürgerlich-idealistisch oder bolschewistisch-aktivistisch, als soziologisch bedingtes Massenphänomen oder utopisch-verblendeter Überschwang verzückter Einzelner entweder verdammt oder hochgejubelt wurde – je nachdem welcher ideologischen Richtung man selber angehörte.“ (Jost Hermand)

 

„Von dem großen deutschen Rechtsphilosophen, Strafrechtler und sozialdemokratischen Rechtspolitiker Prof. Dr. Gustav Radbruch (1878–1949), der in der Weimarer Republik auch von 1920 bis 1924 Mitglied des Reichstages und zweimal für kurze Zeit (1921/22 und 1923) Reichsjustizminister war, ist das Wort überliefert, Gesetze und ganz besonders Verfassungen seien geronnene revolutionäre Lava. Hierüber werde ich also sprechen: Wie aus dem Feuer der Revolution (versteinerte) verbindliche Regeln für ein dauerhaftes Miteinander werden.“ (Hans-Ernst Böttcher)

 

„Die Weimarer Reichsverfassung ließ eine umfassende Einbindung der Wirtschaft in eine gemeinwohlorientierte Politik, eine Demokratisierung der Wirtschaft zu. Aber diese Alternativen werden ausschließlich vor dem Hintergrund der 1919 durchgesetzten parlamentarischen Demokratie diskutiert. Ausgeblendet und als mögliche Alternative verworfen, wird die Rätebewegung. Dabei hält sich das einseitige Bild einer Rätedemokratie als Herrschaftsform einer kommunistischen Diktatur, gegen die die parlamentarische Demokratie erkämpft und verteidigt werden musste. Wer aber wirklich darüber diskutiert, ob es nicht Alternativen zum Scheitern der ersten deutschen Demokratie gegeben hätte, muss auch die Möglichkeit einer Rätedemokratie in seine Fragestellung einbeziehen. Denn sie wurde damals in der Arbeiterbewegung gestellt und war bedeutsam für ihr Handeln.“ (Wolfgang Uellenberg-van Daven)

 

„Karl Kraus (28. April 1874 – 12. Juni 1936) hat mit der Herausgabe der Zeitschrift Die ‚Fackel‘ im Jahre 1899 ein Unternehmen begonnen, das dazu diente, sich in kontinuierlicher Weise mit den herrschenden Verhältnissen auseinanderzusetzen und zugleich wichtige Elemente westlicher Modernität zu vermitteln. In der ‚Facke‘ wurde in monumentaler Weise die soziale Welt abgebildet, rekonstruiert, neu geschaffen: eine Welt in Fragmenten, aber in charakteristischen Fragmenten.“ (Johan Dovrák)

 

„Simone de Beauvoir ist in zweifacher Hinsicht für die Geschichte der Emanzipation von Bedeutung. Zuerst näherte sie sich theoretisch der Geschlechterdifferenz, setzte sich mit den Schriften anderer Denker auseinander und zog sich dabei an ihren Schreibtisch zurück, dann – ab 1968 – ist sie auf die Straße gegangen und kämpfte konkret für die Selbstbestimmung der Frauen. Die Faszination, die von ihrer Person ausgeht, hängt sicher auch damit zusammen, wie sie als selbstbestimmte Frau lebt bzw. gelebt hat. Ihr Leben in einer Männergesellschaft unterscheidet sich kaum – im Handeln und Lieben – von dem ihrer männlichen Kollegen.“ (Gabriele Loges)

 

„Es ist nicht zu verwegen, wenn man sagt, dass Rudi Dutschke mit Hilfe des Bloch’schen Werkes und dessen mehrschichtiger Dialektik sein eigenes Denken auf ein neues theoretisch-praktisches Fundament setzte. Insbesondere die produktive Weiterentwicklung der Marx’schen Begriffe von ‚Fern-Ziel‘ und ‚Nah-Ziel‘ gesellschaftlichen Handelns durch die Bloch’sche Philosophie eröffnete dem Luckenwalder sowohl ein tiefergehendes Verständnis ungleichzeitiger Prozesse des Bewusstseins wie auch deren konkret-utopischer Interventionskraft.“ (Welf Schröter)