Inhaltsverzeichnis
Die Versprechen der Freiheit. Editorial
Von Irene Scherer und Welf Schröter
I. Die Versprechen der Freiheit – Der Aufbruch von 1968 und das Ringen um seine Erbschaften
Kommunikatives Handeln? Deutsch-französische Diskursstrategien um die Kritische Theorie
Von Gérard Raulet
Der radikale Freiheitsbegriff nach 1968 – Ernüchterung …
Von Micha Brumlik
Frei sprechen. Warum eigentlich 68er-Generation?
Von Luca di Blasi
Was bleibt vom Mai 1968? Kritischer Rückblick eines „Dabeigewesenen“
Von Arno Münster
Die Versprechen der Freiheit in der arabischen Welt
Von Mohamed Turki
Politische Theorie und Praxis der Geschlechterumordnung nach 1968. Von der Frauenbewegung zu LGBTQ* und darüber hinaus
Von Alice Pechriggl
1968 und die Justiz – „As far as I remember“. Oder: „Vom Arbeitskreis kritisches Rechtsstudium“ zu MEDEL und zum „Forum Justizgeschichte“
Von Hans-Ernst Böttcher
Freiheit oder Nachhaltigkeit? Freiheit und Nachhaltigkeit!
Von Claus Leggewie
Hegemonie der Freiheit. Überlegungen zum Umgang mit populistischen Diskursstrategien
Von Mathias Richter
„Nachrichten an alle“. Gedichte
Von Bernd Stickelmann
II. Philosophie und Gesellschaft
Religionsphilosophie und Psychoanalyse bei Ernst Bloch
Von Matthias Mayer
Die interkulturelle und die weltpolitische Bedeutung der Philosophie kommunikativer Vernunft
Von Helmut Fahrenbach
Zur Gründung der Hans-Mayer-Gesellschaft
Von Heinrich Bleicher-Nagelsmann
Internationaler Beirat der Buchzeitschrift "Latenz"
Autorinnen und Autoren
„Ende sechziger Jahre gingen weltweit tausende Menschen auf die Straßen und rebellierten gegen alte Herrschaftsstrukturen: Von Berkeley bis Berlin, von Paris bis Warschau, von London bis Prag. Der Wunsch nach Emanzipation führte zur Wiederentdeckung der Rechte der Citoyenne und des Citoyens als Fundament einer freien Zivilgesellschaft. Die vielfältigen Hoffnungen auf mehr Freiheit in Politik und Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft standen im Zeichen eines neuen Lebensgefühls, das sich selbstbewusst eigenen und kollektiven Zukunftsplanungen zuwandte und sich gegen Krieg und Fremdbestimmung, gegen Unterdrückung und Ausbeutung richtete.
In diesen Jahren entstand eine nicht nur jugendliche Protestkultur, die mehr war als eine soziale Bewegung. Die antiautoritären neuen Lebensentwürfe stellten die tradierten kulturellen Lebensmuster der Elterngenerationen in Frage. Der Aufbruch zu neuen Musikstilen, neuen Formen des Zusammenlebens und neuen Bildungsmöglichkeiten eröffneten dem Individuum die Chancen auf andere Wege der Sinnfindung, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Es entstand ein neuer libertär gespeister Begriff von individueller Freiheit, der sich mit einer emphatischen Vorstellung von Solidarität und Toleranz auf der Grundlage einer befreiten Gesellschaft paarte. Die Neue Linke versuchte zudem, den Kältestrom der Analyse des Wertgesetzes mit dem Wärmestrom einer Emanzipationstheorie zu verknüpfen.
Die Proteste und Rebellionen der späten sechziger und siebziger Jahre offenbarten sich wirkungsgeschichtlich vor allem als kulturrevolutionären Prozess, der die Gesellschaft und ihren Verfassungsstaat vielfältig veränderte. Nicht umsonst wollte Franz-Josef Strauß durch seine Kandidatur zum Bundeskanzler im Jahr 1980 explizit diesen kulturellen Wandel umkehren,
Die Wirkmächtigkeiten der Emanzipationserfahrungen und die Versprechen der Freiheit sind in ihren Ergebnissen seit einigen Jahren wieder umstritten. Statt die Tagträume neuer globaler Kooperationskulturen von Zivilgesellschaften und Klima-Kommunen voranzubringen, trieb und treibt eine kaum gebändigte Marktglobalisierung zu neuen sozialen Spaltungen und Verarmungen. Der weltweite Kapitalismus sog jene Versprechen der Freiheit der Achtundsechziger auf, kommerzialisierte sie und konnte sich somit selbst modernisieren. Zugleich versuchten und versuchen nach dem Ende der Blockkonfrontation nationalistische Strömungen die Idee der Freiheit zu besetzen, um sie als ‚Freiheit der Weißen‘ gegen die Emanzipationsversprechen der allen zustehenden Freiheitsrechte zu wenden.
Für ein Europa der Bürgerinnen und Bürger müssen fünfzig Jahre nach dem symbolträchtigen 1968 die Versprechen der Freiheit erneuert und erweitert werden.
Diesem Denkansatz sieht sich die dritte Ausgabe der ‚Latenz‘ verpflichtet.“ (Aus dem Editorial)