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reihe politische erfahrung - Band 04

Sibylle Grüninger, Anne Frommann (Hg.)

„Wo diese schweigen, so werden die Steine schreien“
Seniorinnen und Senioren für den Frieden – Reden vor Gericht

Mit einem Vorwort von Sibylle Grüninger und Anne Frommann sowie einem Nachwort von Inge Jens

Mit Beiträgen von Sibylle Grüninger, Anne Frommann, Verena Reiner, Wilfriede Kontzi, Dorothea Dietz, Herbert Sorgius, Margret Cieslinski, Kurt Stahl, Annemarie Roth, Gertrud Müller, Käthe Aufdermauer, Gotthold Gocht, Friedrich Grüninger, Welf Schröter.

1989, 176 Seiten, kt., mit zahlreichen Abb., 18,00 €
ISBN 978-3-89376-008-4 [ISBN 3-89376-008-3]

In den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts haben Hunderttausende von Menschen gegen Kriegsvorbereitungen und Aufrüstungen protestiert. Viele gewaltlose Formen des Widerspruchs unterschiedlicher Generationen sind entstanden. Dazu gehörten auch die rechtlich umstrittenen Sitzblockaden vor Atomkraftwerken, die von Juristen als „Nötigung“ des Staates interpretiert wurden. Hunderte von Gerichtsverhandlungen gegen ältere Bundesbürger haben nach den Seniorenblockaden 1986/87 stattgefunden, nur einige dieser Reden vor Gericht sind hier gesammelt. Sie wollen alten und jungen Menschen Mut machen zu einem behutsamen und verantwortungsbewussten Gestalten der Zukunft. „Wir Senioren für den Frieden wollen die jungen Leute nicht allein lassen, die sich gewaltlos für ihre, für eine gute Zukunft einsetzen und dabei viel mehr riskieren, als wir Alten. Wir gehen mit ihnen.“

reihe politische erfahrung - Band 04
( Talheimer Verlag )

€ 18.00 (inkl. 7 % MwSt.)


Inhaltsverzeichnis

 


Sibylle Grüninger und Anne Frommann
Vorwort

Welf Schröter
Ermutigungen

 

Reden vor Gericht

Verena Reiner
Gewaltlos gegen Rüstung

Wilfriede Kontzi
Sprechen Sie Recht

Sibylle Grüninger
Ich habe gelernt. Ich fühle mich nicht schuldig

Anne Frommann
Zur notwendigen Nötigung

Dorothea Dietz
Wie konnte es geschehen?

Herbert Sorgius
Abenteurer der Liebe. Ein mahnender Brief

Margret Cieslinski
Nur ein Stein, der schreit

Kurt Stahl
Die Zeit drängt

Annemarie Roth
Ich muß mich einsetzen. Nein zur Umweltkriegsführung

Gertrud Müller
Wir kämpfen für den Frieden

Käthe Aufdermauer
Mahnerin auf ihrem Posten. Muß ich mich nicht wehren?

Gotthold Gocht
Niemals wieder schweigen

Friedrich Grüninger
Ein Zeichen setzen. Es sind gar nicht so wenige

 

Nachwort

Inge Jens
Nachwort

 

Anmerkungen

 

Aus dem Vorwort von Sybille Grüninger und Anne Frommann:

 

„‚Wir wollen den Enkeln die Erde bewahren.‘ ‚Wir wollen nie wieder sagen, davon haben wir nichts gewusst.‘ ‚Weil ich damals geschwiegen habe, schreie ich heute.‘

Das stand auf Transparenten, die Senioren und Seniorinnen aus der ganzen Bundesrepublik mitgebracht hatten zur Seniorenblockade in Mutlangen, damals im Mai 1986 und ganz ähnlich 1987.

Knapp eine Woche zuvor hatte das Entsetzen über den Super-GAU im AKW Tschernobyl die Menschen in Europa aufgeschreckt. Bei den Großvätern und Großmüttern, die sich nach Mutlangen auf den Weg gemacht hatten, war die Überzeugung gestärkt worden: ‚Wir müssen uns der atomaren Bedrohung in den Weg setzen, von welcher Seite sie auch kommen mag.‘

Vor den älteren Menschen – sie waren zwischen 60 und weit über 80 Jahre alt – lag, hinter Natodraht und unter scharfer Bewachung durch amerikanische Soldaten, das Depot der Pershing-II-Raketen. Diese Massenvernichtungswaffen, getarnt durch die verharmlosende Bezeichnung ‚Mittelstreckenraketen‘, wurden in jenen Maitagen zu Frühjahrsübungen durch die wunderschöne schwäbische Landschaft gekarrt, in langen, bedrohlichen Militärkonvois, die LKWs olivschwärzlich gesprenkelt, mit Tarnnetzen überzogen.

In Gruppen beisammen stehend, dann wohl organisiert und ruhig auf Klappstühlen sitzend oder auf Pappkartons hockend, so waren die Seniorinnen und Senioren an mehreren Tagen zu sehen. Friedlich singend, manchmal auch schweigend blockierten sie die Zufahrtsstraße zum Raketendepot, von der Militärmaschinerie und den mehrfachen Stachedrahtzäunen weit überragt. Die ritualisierten Aufrufe der Polizei, die Straße zu räumen, schallten durch das Megaphon, dann wurden die Menschen mit den grauen und weißen Haaren – ganz überwiegend Frauen – von Polizisten weggetragen und weggeführt, die ihre Söhne oder Enkel sein könnten.

Die Gerichte unseres Landes urteilen, diese Handlungsweise der alten Menschen sei gesetzwidrig, sei Nötigung und damit Gewalt. Vor dem zuständigen Amtsgericht in Schwäbisch Gmünd und vor dem Landgericht in Ellwangen wurden viele einer ‚strafbaren Handlung für schuldig befunden‘.

Wie bei der Blockade in Mutlangen den jungen Polizisten und amerikanischen Soldaten, so standen die Seniorinnen und Senioren auch vor Gericht jüngeren Menschen gegenüber – Richtern, Schöffen, Staatsanwälten – denen sie ihre Handlungsweise, ihre Motive aus Verantwortung für die Zukunft der Menschheit in beeindruckenden Reden darstellten.“

 

„Richter und Staatsanwälte werfen ihnen vor, sie übten Gewalt aus und unterminierten den Rechtsstaat. Die Gerichte sprechen von Nötigung und verhängen Geldstrafen, um die Delinquenten zur Achtung gegenüber dem Gesetz zu erziehen. Die Anklage beschuldigt die Täter der ‚verwerflichen Handlung‘ und der ‚Androhung von Übel‘. Doch so sehr sich die justiziellen Herren in ihren schwarzen Talaren auch bemühen, mit der genauen Auslegung des Paragraphen die vor ihnen stehende Tätergemeinschaft zu fassen, ihnen tritt in überzeugender Gelassenheit ein freundlich-gütiges Lächeln entgegen.

Unbeugsam und unbeirrt, mit einem Anflug von Mitleid, vernehmen die Mitglieder der Gruppe ‚Senioren für den Frieden‘ ihr Urteil. Mag der vorsitzende Richter die formale Richtigkeit seiner Entscheidung beanspruchen, die moralische Glaubwürdigkeit hat indessen längst auf der Anklagebank Platz genommen. Auf ihr sitzen Frauen und Männer im Alter von 60 bis manchmal gar weit über 80 Jahren, die sich in ihrer letzten Lebensphase für Aktionen des gewaltlosen Widerstandes entschieden haben. Seit drei Jahren gewinnen sie mit ihrer Offensive der Gewaltlosigkeit immer mehr Anhänger. Seniorinnen und Senioren engagieren sich in der Friedensbewegung, um ihren Protest gegen die atomare Rüstung und die Modernisierung der Raketensysteme zum Ausdruck zu bringen.“ (Welf Schröter, Ermutigungen)