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reihe politische erfahrung - Band 11reihe texte aus der geschichte - Band 1

reihe politische erfahrung - Band 12

Heinrich Bleicher (Hg.).

Der unbequeme Aufklärer
Gespräche über Hans Mayer

Mit Beiträgen von Volker Braun und Gesprächen über Hans Mayer mit Pieke Biermann, Thomas Grimm, Kurt Groenewold, Christoph Hein, Jost Hermand, Inge Jens, Hanjo Kesting, Leo Kreutzer, Jack D. Zipes. Einleitung und Befragung durch Heinrich Bleicher.

zweite überarbeitete Auflage, 2022, 264 Seiten, 36,00 €
ISBN 978-3-89376-195-1

„Die Rolle, die Literatur für ein Leben spielen kann, spiegelte sich bei Hans Mayer in seiner Existenz schon sehr deutlich und er vermittelte dies weiter. Er zeigte, dass das nicht ein Privileg nur für ihn war, sondern dass man sich um dieses Privileg bemühen kann.“ (Inge Jens)

In der Neckarhalde 41 in Tübingen hatte Hans Mayer einen Platz gefunden, an dem er am Ende seines langen Jahrhunderts „daheim“ sein konnte. Für den emeritierten Professor der Germanistik bedeutete es jedoch keinen Ruhestand. Nach den Jahren im Exil, und danach in Leipzig und Hannover entstand das umfassende literarische und essayistische Alterswerk des Literaturwissenschaftlers und Kritikers.

In seinen zweibändigen Erinnerungen, begonnen 1979 in Jerusalem, die unter dem Titel „Ein Deutscher auf Widerruf“ 1982 und 1984 erscheinen, erzählt er viel aus der Weimarer Zeit, der Zeit des Exils in Frankreich und der Schweiz sowie der Jahre 1949 bis 1963 in der DDR und danach in Hannover, aber nur wenig über sich selbst. Es ging ihm darum, „Reflexionen sowohl über die Perioden der deutschen Literaturentwicklung wie über die Geschichte der deutsch-jüdischen Symbiose … mit meinem eigenen Unterfangen, das eigene Erleben als Erzähler zu fassen und dadurch zu tradieren“.

Berühmt sind Mayers Vorlesungen im Hörsaal 40 der Leipziger Universität. Hervorragende Schüler und Schülerinnen wie Volker Braun, Uwe Johnson und Christa Wolf sitzen in seinen Seminaren. Mit seinem Freund Ernst Bloch und dessen Frau, der Architektin Karola Bloch, steht er für einen undogmatischen, kritischen Marxismus. Das kommt bei den Herrschenden der SED nicht gut an. Nach Blochs Weggang 1961 ist mit Mayer – nach Meinung der herrschenden Partei – immer noch „eine Lehrmeinung zu viel“ in Leipzig. 1963 kehrt der „Deutsche auf Widerruf“ in das westliche Deutschland zurück.

Wer war dieser Mann, der die literarische und kulturpolitische Diskussion der frühen DDR, der BRD in den 60er bis 80er Jahren des 20. Jahrhunderts maßgeblich mitbestimmt hatte?

Am 19. März 1907 wurde Hans Mayer in Köln geboren. Er starb am 19. Mai 2001 in Tübingen.

reihe politische erfahrung - Band 12

€ 36.00 (inkl. 7 % MwSt.)


Inhaltsverzeichnis

 

Der unbequeme Aufklärer. Gespräche über Hans Mayer
Einleitung Von Heinrich Bleicher

HANS MAYER
Von Volker Braun

Mayer war mein Tor zur Welt
Gespräch mit Pieke Biermann

Dokumentarische Annäherung an Hans Mayer
Gespräch mit Thomas Grimm

Er dachte so radikal als intellektueller Denker
Gespräch mit Kurt Groenewold

„Goethe-höchstselbst“
Gespräch mit Christoph Hein

Einer der wichtigsten Ruhestörer, Außenseiter, vaterlandsloser Gesell und unangepasster Grenzgänger
Gespräch mit Jost Hermand

Es gibt wenige Menschen, denen ich so viel verdanke
Gespräch mit Inge Jens

Hans Mayer oder Die schönen Jahrhundertdurchblicke
Gespräch mit Hanjo Kesting

Ohne Lampenfieber kann man keine Vorlesung halten
Gespräch mit Leo Kreutzer

Mayer hat meine Karriere gerettet
Gespräch mit Jack D. Zipes und Pieke Biermann

Die Bucht der Hingeschiedenen
Von Volker Braun

Editorische Notiz

Gesprächspartner*innen

 

 

Aus der Einleitung

 

In diesem Buch finden sich Auskünfte und Beiträge von Personen, die Hans Mayer noch persönlich kennengelernt haben und die ihm zum Teil auch nahestanden. Die Gespräche führte der Vorsitzende der 2018 gegründeten Hans-Mayer-Gesellschaft, mit Unterstützung des stellvertretenden Vorsitzenden, Dr. Heiner Wittmann.

Ein Gespräch mit Volker Braun konnte leider nicht stattfinden, aber er war so freundlich, einen kleinen Text und das Gedicht „Die Bucht der Hingeschiedenen“ beizusteuern. Hans Mayer hatte sich u.a. die Lesung dieses Gedichtes für seinen 90. Geburtstag gewünscht.

Die Literaturwissenschaftlerin Dr. Inge Jens hat Hans Mayer schon während seiner Leipziger Zeit kennengelernt und ihn dann in seiner Tübinger Zeit bis zu seinem Tod begleitet. In ihrer Kenntnis der Leipziger Zeit stellt sie fest: „Ich glaube, dass ihm gerade im Fernen Osten und auch im nicht ganz so fernen Osten der Ruf vorausging, ein wirklich begnadeter Vermittler deutscher Kultur zu sein. Nicht nur Literatur, sondern deutscher Kultur. Ich sage das bewusst. Das hat es so nicht sehr häufig gegeben. Und das in einer frühen Zeit, also in den 60er Jahren.“ Zum 70. Geburtstag Hans Mayers gab Inge Jens 1997 ein Buch mit Beiträgen bekannter literarischer Persönlichkeiten über Hans Mayer heraus. Einer der interessantesten Beiträge ist der von Carl J. Burkhard über den jungen Hans Mayer. Der berühmte Schweizer Diplomat, Historiker und Essayist war einer der Freunde Hans Mayers während dessen Exilzeit in der Schweiz. Er schrieb: „Mayer hätte in jedem Fach, als Jurist, Nationalökonom, Soziologe oder Historiker einen hervorragenden Studienabschluß einschalten können. Ihm aber wurde die Wahl schwer. Was ihn letzten Endes am tiefsten betraf, am meisten anzog, war Geistesgeschichte und Dichtung. Da lebten wir beide, jeder in seiner Art, fern von der Sprache unserer Heimat und Jugend, beide entbehrten wir etwas Entscheidendes, beide dachten wir an das ‚andere Deutschland‘, wobei unser Freund, dieses enfant terrible des Instituts, es sich streng versagen mußte, davon zu sprechen, denn er war der Verfolgte, der Bedrohte, der Flüchtling; und seine Sicherheit mußte er dort suchen, wo die stärksten Gegenkräfte gegen all das vorhanden waren, was sich unmittelbar gegen ihn und seinesgleichen richtete.“ Es war Carl J. Burkhard, der Mayer zur „Identität und Kenntlichkeit verhalf. Dazu nämlich, die Werke der Schriftsteller nicht als Indizien für Historisches zu benutzen, … sondern als Schöpfungen eigenen Rechts ernst zu nehmen.“

Hans Mayer kann sich mit seinem Büchner-Buch 1948 in Leipzig an der Universität habilitieren und erhält einen Lehrstuhl für Geschichte der Nationalliteraturen an der Philologisch-Historischen Abteilung der Philosophischen Fakultät der Universität. Bei einer Veranstaltung 1985/86 in der Akademie der Wissenschaften in Westberlin hat Christoph Heins erste Begegnung mit Hans Mayer stattgefunden. Hein war auf Wunsch von Hans Mayer eingeladen worden; er berichtet: „Ich habe sofort zugesagt und das war ein sehr schönes Gespräch, auch ganz ‚Mayersch‘. Er war ja gefürchtet für die Prüfungen. Er war da gnadenlos und tatsächlich, ich war ja nun wirklich kein Student mehr, war über 40, da gab es einen Moment von ‚Prüfung‘. Er zitierte eine erste Zeile eines Gedichtes von Hugo von Hofmannsthal: ‚Manche freilich müssen drunten sterben.‘ Und dann sah er mich an und es war völlig klar, der Professor sah den Studenten an, und dann konnte ich Gott sei Dank das Gedicht zu Ende aufsagen und damit hatte ich, ich sah es an seinen Augen, damit hatte ich die ‚Prüfung‘ bestanden.“ Christoph Hein ist auf Vorschlag von Hans Mayer 1990 der erste Preisträger des „Erich-Fried-Preises für Literatur und Sprache“.

Die „Erich Fried Gesellschaft“ wurde am 22. November 1989, exakt ein Jahr nach Erich Frieds Tod, in Wien gegründet und Hans Mayer war ihr Gründungspräsident. Über Mayers Rolle und Aktivitäten dort berichtet RA Kurt Groenewold in diesem Band. Als Nachlass-Verwalter erzählt er von seiner jahrelangen Freundschaft mit Hans Mayer.

Hanjo Kesting leitete mehr als dreißig Jahre die Redaktion „Kulturelles Wort“ im NDR-Hörfunk. In dieser Zeit hat er zahlreiche Gespräche mit Hans Mayer geführt, sowie Aufsätze über ihn veröffentlicht. Begonnen hatte es 1973. Damals erschien gerade das Buch „Goethe – Ein Versuch über den Erfolg“. Es wurde in großen Ausschnitten im Rundfunk gesendet. Der letzte Rundfunkvortrag war 1997 im Dezember zum 200. Geburtstag von Heinrich Heine. 2000 hat Kesting noch eine Sendung mit dem 93 jährigen Hans Mayer über das 20. Jahrhundert gemacht. Gesendet wurde auch noch, vor dessen Erscheinen 2001 im Buchhandel, ein Beitrag über Mayers Erinnerungsbuch zu Willy Brandt. Aus den vielen Begegnungen mit Hans Mayer zeichnet Kesting ein durchaus kritisches, aber verständnisvolles Portrait des „Repräsentanten und Außenseiters“.

Eine Person, die Hans Mayer noch länger gekannt hat als Hanjo Kesting, ist Mayers Nachfolger am Lehrstuhl in Hannover, Professor em. Leo Kreutzer. Schon seit 1964 hat er bereits in Tübingen mit ihm zusammengearbeitet und dann mit ihm gemeinsam den Lehrstuhl für Deutsche Literatur und Sprache an der damals Technischen Universität in Hannover aufgebaut. Hinzu kam auch das dort veranstaltete „Literarische Colloquium“. Wen Hans Mayer einlud, der – so Leo Kreutzer – „hatte nach Hannover zu kommen. Die ganzen Leute von der Gruppe 47, die habe ich alle damals in Hannover kennengelernt, und ich bin ihnen so nähergekommen.“ In dem Gespräch räumt Leo Kreutzer auch mit der Legende auf, die die Berufung von Fritz J. Raddatz auf eine Professur in Hannover betraf. Spannend auch, wie Kreutzer die von Uwe Johnson als „Jahrhundertblicke“ bezeichnete Schreibweise und Art der Literaturbetrachtung Hans Mayers erläutert.

Pieke Biermann, Schriftstellerin und Übersetzerin, kennt Hans Mayer aus ihrem Studium in Hannover. Als Hilfsassistentin ihres Literaturprofessors hat sie ihn auch durch die Tätigkeit in seiner Bibliothek sehr gut kennengelernt und vermittelt einen persönlichen, sehr nahen Blick auf den sonst Frauen oft auch distanziert gegenüberstehenden Mann.

Schon während seiner Hannoveraner Zeit hat Mayer sich mehrfach in den USA aufgehalten und an Universitäten in New York und in Wisconsin gelehrt. Dort traf er auch Professor em. Jost Hermand, dem er schon in der DDR hätte begegnen können. Damals hatte Mayer als Gutachter für den Akademie-Verlag dafür gesorgt, dass entgegen der Politik der dogmatischen Marxisten das von Jost Hermand verfasste Buch „Naturalismus“ aus der gemeinsam mit Richard Hamann erarbeiteten fünfbändigen deutsche Kulturgeschichte „Von der Gründerzeit bis zum Expressionismus“ erscheinen konnte. Hermand hatte Hans Mayer mehrfach nach Milwaukee zu Vorträgen eingeladen. Unter anderem zu einer internationalen Autorenkonferenz – an der auch Nathalie Sarraute und Fernando Arrabal teilnahmen –, „auf der Mayer einen Vortrag über Graffiti in deutschen Männertoiletten hielt, der im Sinne des damaligen Gay Liberation Movement abgefasst war und an sexueller Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrigließ“. Resümierend fasst Jost Hermand zusammen, dass ein wesentlicher Punkt bei Hans Mayer auch immer die Frage der Systemkritik war. Auch das „sollte ihn zu einem Vorbild für all jene Literatur- und Kulturwissenschaftler machen, die in ihren Fächern mehr als eine textbezogene Deutungswissenschaft sehen und bei ihren Interpretationsbemühungen auch vor engagierten ‚Eingriffen‘ in die jeweils anstehenden gesellschaftspolitischen Konflikte nicht zurückschrecken.“

Die kritische „linke Position“ Mayers war es auch, die seinen amerikanischen Übersetzer Professor Jack Zipes in den Bann zog. Zu dessen Aktivitäten in den USA stellt Zipes fest: „Er war wirklich sehr energisch. Und er wollte auch jungen Leuten helfen. Besonders wenn sie links waren.“ Obwohl Jack Zipes als studentischer Unruhestifter gegen den Vietnamkrieg auf einer „schwarzen Liste“ stand, verhalf Mayer ihm zu einer Professur an der Universität in Milwaukee. Ebenso hat er dort mit Zipes und anderen die kritische linke Zeitschrift „New German Critique“ ins Leben gerufen, die heute noch existiert. Laut Zipes ging es bei Mayer nicht nur um die reine germanistische Lehre, sondern „er war auch sehr politisch, ohne didaktisch zu sein. Für ihn war die Politik unheimlich wichtig in allen Werken und er versuchte, u.a. mit Hilfe der ‚Frankfurter Schule‘ – wie ich auch – die Welt aufzuklären. Er hat mich auch da beeinflusst. Meine Entwicklung wäre unmöglich gewesen, wenn ich nicht nach Deutschland gegangen wäre.“

[…] Eine „dokumentarische Annäherung“ an Hans Mayer vermittelt das Gespräch mit Thomas Grimm. Dem Filmemacher und Gründer von „Zeitzeugen-TV“ verdanken wir Filme mit Hans Mayer und Dokumentationen mit Zeitzeugen wie Inge und Walter Jens, die über ihren Freund Hans Mayer berichten. Eines der spannendsten Filmdokumente über den Redner Hans Mayer ist sein Vortrag zum 100. Geburtstag von Walter Benjamin an der Leipziger Universität. Ferner gibt es ein in Tübingen aufgezeichnetes Gespräch, über dessen schwierigen, aber erfolgreichen Verlauf Thomas Grimm in diesem Band berichtet.

In Tübingen fühlte sich Mayer nach vielen Reisen und Aufenthalten in zahlreichen Städten seines Lebensweges „daheim“; mit den Freunden Ernst und Karola Bloch, Inge und Walter Jens, dem Germanisten Paul Hoffmann und anderen. Mayer konnte dort das umfangreiche Werk seines letzten Lebensabschnittes vollenden. Mit seiner Ehrenmitgliedschaft in der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten“ des Kreisverbandes Tübingen-Mössingen, die ihm am 19. Mai 1999 verliehen wurde, schloss sich auch hier ein Kreis seines politischen Schaffens und Wirkens. Das Thema seines Vortrages bei der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft lautete: „Jahrgang 1907 – Rückschau auf das Jahrhundert“.

Erfreulich ist, dass dieser Band in der Reihe „politische erfahrung“ beim Talheimer Verlag Mössingen erscheinen kann. Dort sind auch die Schriften von Karola Bloch publiziert, in denen sich ein Beitrag von Hans Mayer zu „Ernst Bloch in der Geschichte“ findet. […]