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PM 22.01.1995 "Forum Zivilcourage & Zukunftsgestaltung" zur Erinnerung an Karola Bloch gegründet

"Forum Zivilcourage & Zukunftsgestaltung" zur Erinnerung an Karola Bloch gegründet

Eine Initiative von Bürgerinnen und Bürgern sowie der Kulturdezernenten von Tübingen und Ludwigshafen aus Anlaß des neunzigsten Geburtstages von Karola Bloch am 22. Januar 1995

Verantwortung zu übernehmen heißt, sich als Bürgerin und Bürger in das öffentliche Leben einzumischen, sich demokratisch und solidarisch für die Zivilgesellschaft zu engagieren. Als Citoyen und Citoyenne ergriffen in den sechziger Jahren Karola und Ernst Bloch die Initiative und beteiligten sich am damaligen "Republikanischen Club" in Tübingen. Er war ein Ort öffentlichen Nachdenkens, er war vorparlamentarisch und parteiübergreifend. Der "Republikanische Club" diente als Möglichkeit, sich über gesellschaftliche Probleme und mögliche Lösungen zu verständigen. Aus ihm erwuchs in Tübingen der "Verein Hilfe zur Selbsthilfe", um für und mit Straffälligen eine Reform des Strafvollzugs und der Resozialisierung anzubahnen.

Heute gibt es unseres Erachtens wieder einen Bedarf nach einem parteiunabhängigen, offenen und öffentlichen Ort, an dem über die politischen und sozialen Herausforderungen nachgedacht werden kann. Zu fördern ist jene demokratische Grundhaltung, die mit Zivilcourage und Rückgrat sich gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus wehrt und hilft, die Menschen auf die kulturelle Vielfalt Europas vorzubereiten. Es geht um die Förderung der Bereitschaft, sich aktiv für die bürgerschaftliche Bewahrung und Aktivierung von Menschen- und Bürgerrechten und solidarischem Zusammenleben einzusetzen. Rückzug des einzelnen aus dem politischen Raum und zunehmende Politikverdrossenheit schwächen die demokratische Kultur. Ermutigend sind die vielen Beispiele für bürgerschaftliches Engagement: Bürgerinnen und Bürger sind auch heute – in neuen Formen – bereit, Verantwortung für ihr Stadtquartier, ihr Gemeinwesen zu übernehmen.

Neben der Fähigkeit zur demokratischen Kultur brauchen wir eine Stärkung unserer Zukunftskompetenz. Unsere Gesellschaft ist in Wirtschaft und Privatleben einem tiefen Strukturwandel unterworfen. Angst vor der Zukunft behindert das Nachdenken über Neues. Rückwärtsgewandtes Bewahren von Bekanntem tritt dem Wunsch nach sozialen Innovationen entgegen. Citoyenne und Citoyen sind als Individuen in ungewöhnlicher Weise gefordert, sich den Umbaunotwendigkeiten in der Gesellschaft zu stellen, die durch die deutsche Einheit, die europäische Integration, Arbeitslosigkeit, Weltmarktveränderungen, Kriege und Kriegsgefahren sowie Klimabedrohungen verursacht sind. Kompetenz zur Zukunftsgestaltung läßt sich aber eher gemeinsam in öffentlichem Nachdenken erwerben. Ein Beispiel kann man auch in der veränderten Stellung des einzelnen in der kommenden Informations- und Mediengesellschaft erkennen.

Die Bewahrung der Errungenschaften der Zivilgesellschaft und das Erlernen von Kompetenz zur Zukunftsgestaltung bedürfen eines Ortes neuer Nachdenklichkeit. Bei Karola und Ernst Bloch lauteten die Stichworte "Menschliche Würde", "Konkrete Utopie", "Aufrechter Gang" und "Ermutigung". Ein FORUM ZIVILCOURAGE & ZUKUNFTSGESTALTUNG im Geiste eines anwendungsorientierten und pluralen gesellschaftlichen Diskurses könnte – als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft – einen Beitrag für eine innovative Stadtentwicklung leisten.

Eine der großen Herausforderungen der kommenden Jahre wird der Wandel des öffentlichen Lebens, der öffentlichen Kultur, der Öffentlichkeit sein. Öffentliches Nachdenken und Kommunizieren aber ist die Bedingung für Demokratie und Solidarität, für die Fähigkeit, zivilgesellschaftlich zu handeln. Das FORUM ZIVILCOURAGE & ZUKUNFTSGESTALTUNG möchte ein öffentliches Gespräch in der Stadt über dieses Thema anstoßen und moderieren.

Mit Gesprächen, Vorträgen und Tagungen soll den Fragen nachgegangen werden, wie sich die Kommunikation der Menschen durch Arbeit, Bildung, Kultur und Technik verändern wird und welche gestalterischen Initiativen ergriffen werden müssen, um eine Weiterentwicklung demokratischer und sozialer Praxis zu gewährleisten.

Deshalb wollen die Initiatorinnen und Initiatoren des FORUM ZIVILCOURAGE & ZUKUNFTSGESTALTUNG im Jahr 1995 eine mehrteilige Gesprächsreihe mit einer Abschlußtagung organisieren. Diese sollen zu weiterem gemeinsamen Handeln ermutigen.

Das FORUM ZIVILCOURAGE & ZUKUNFTSGESTALTUNG wird getragen von Einzelpersonen aus Stadt und Universität, von Freunden Karola und Ernst Blochs, der Stadt Tübingen, dem 'Karola-und-Ernst-Bloch-Zentrum Ludwigshafen'. Das Forum ist offen für jede und jeden.

Wir laden Sie ein zur Mitarbeit – in Verantwortung für die Zukunft der Stadt.

Tübingen, den 22. Januar 1995

Gabriele Steffen, Kulturdezernentin und Erste Bürgermeisterin der Stadt Tübingen
Günther Ramsauer, Kulturdezernent und Beigeordneter der Stadt Ludwigshafen
Wilfried Setzler, Leiter des Kulturamts der Stadt Tübingen
Klaus Kufeld, Leiter des Kulturamts der Stadt Ludwigshafen
Welf Schröter, Herausgeber und Verleger der Arbeiten Karola Blochs
Francesca Vidal, Geschäftsführerin der Ernst-Bloch-Gesellschaft
Anne Frommann, Pädagogin und Herausgeberin der Arbeiten Karola Blochs
Eberhard Braun, Philosoph, Mitarbeiter Ernst Blochs, Mitglied des 'Republikanischen Clubs'
Jan Robert Bloch, Naturwissenschaftler und Sozialphilosoph
Helmut Fahrenbach, Philosoph und Bloch-Interpret
Karl-Heinz Weigand, Leiter des Ernst-Bloch-Archivs Ludwigshafen
Jürgen Moltmann, Theologe und Träger des Ernst-Bloch-Preises
Jürgen Teller, Philosoph und Freund der Blochs aus Leipziger Zeit