Start Pressearchiv PM 09.01.2011 Jiří Dienstbier – ein großer Europäer und ein vehementer Verfechter der konkreten Utopie der Zivilgesellschaft Europas ist gestorben
PM 09.01.2011 Jiří Dienstbier – ein großer Europäer und ein vehementer Verfechter der konkreten Utopie der Zivilgesellschaft Europas ist gestorben

Jiří Dienstbier – ein großer Europäer und ein vehementer Verfechter der konkreten Utopie der Zivilgesellschaft Europas ist gestorben

Der Talheimer Verlag würdigt mit Respekt seinen Autor

Der Mitbegründer der tschechoslowakischen Opposition CHARTA 77 und Verfechter einer demokratischen europäischen Zivilgesellschaft, Jiří Dienstbier, ist im Alter von 73 Jahren nach langer Krankheit gestorben. Dienstbier war Anhänger des "Prager Frühlings" 1968 und gehörte zu den harten Kritikern des Sowjetkommunismus. Nach der "Samtenen Revolution" 1989 wurde er in Prag zum ersten Außenminister der jungen neuen Demokratie gewählt. Der Talheimer Verlag würdigt einen außergewöhnlichen Menschen und erinnert an seinen Autor.

Im Prager Untergrund und von der KP verfolgt beschrieb er bereits die soziale Utopie Europas. Jiří Dienstbier wehrte sich gegen die Aufteilung Europas in ein West- und in ein Osteuropa. Der Kontinent habe eine gemeinsame Geschichte und eine gemeinsame kulturelle Erbschaft.

In dem im Talheimer Verlag erschienenen Band "Metamorphosen der Utopie – Rückblicke und Ausblicke nach Europa", der im Jahr 2005 von Mathias Richter und Inka Thunecke herausgegeben wurde, betonte Jiří Dienstbier:

"Wenn Europa besser sichtbar ist, wenn die europäischen Institutionen transparenter werden und vor allem wenn die Menschen merken, welche Vorteile es hat, dass man seine Begabungen und Fähigkeiten innerhalb eines Europa ohne Grenzen nutzen kann, dann werden sie sich wahrscheinlich auch politisch noch mehr als Europäer fühlen und entsprechend agieren. Zudem haben wir ein gemeinsames Erbe – ein positives, aber zum Teil auch ein schreckliches Erbe: Religionskriege, Kriege zwischen Nationen. Faschismus und Stalinismus waren die Strafen eines ungezügelten Kapitalismus im 19. Jahrhundert. Aus diesen Erfahrungen wissen wir, dass es politisch unbedingt geboten ist, sich um die Lebenssituationen der Menschen zu kümmern."

Jiří Dienstbier erschien persönlich am 8. Februar 2006 in Berlin zur Präsentation des Bandes "Metamorphosen der Utopie" bei einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation mit dem Talheimer Verlag. Im Jahr 2005 hatte die internationale Ernst-Bloch-Gesellschaft und der Talheimer Verlag Jiří Dienstbier zu einem Europa-Dialog mit dem Titel "Enttäuschte Hoffnungen – Rückblicke und Ausblicke nach Europa" eingeladen.

Der am 20. April 1937 in Kladno geborene Dienstbier musste in seinem Leben sehr unterschiedliche Berufe ausüben, um seine Existenz zu sichern. Als Philosoph und Journalist hatte er begonnen. Nach seinem Berufsverbot arbeitete er als Heizer, Nachtwächter und Archivar. Nach Ende seiner Amtszeit als Außenminister wandte er sich wieder der Philosophie und dem Journalismus zu. Jiří Dienstbier gehörte zu den engen Freunden von Vaclav Havel, dem nach 1989 frei gewählten Staatsoberhaupt in Prag.

Jiří Dienstbier war ein bescheidener Mensch. Gegenüber Mathias Richter und Inka Thunecke umriss er am 1. Juli 2004 in Prag seine privaten Wünsche mit folgenden Worten: "Ich interessiere mich nicht für Geld und Luxus. Solange ich etwas zu essen habe, Zigaretten, eine warme Wohnung und gute Bücher, ist für mich alles okay."

Mathias Richter, Inka Thunecke (Hg.) Metamorphosen der Utopie.
Rückblicke und Ausblicke nach Europa. 
Autobiographische Gespräche mit Karol Modzelewski, Dawid Warszawski, Helena Łuczywo, Radoslaw Gawlik, Jan Lityński, Jiří Dienstbier, Petr Uhl, Jiřina Šiklovà, Jaroslav Šabata, Miroslav Kusý, Martin M. Šimečka, György Dalos, János Kis, Gábor Havas, János Vargha und István Eörsi.
2005, 400 Seiten, br., 28.00 EUR, ISBN 3-89376-111-X