Start Pressearchiv PM 14.10.2005 Zum Tode des Schriftstellers István Eörsi
PM 14.10.2005 Zum Tode des Schriftstellers István Eörsi

Zum Tode des Schriftstellers István Eörsi

Talheimer Verlag trauert um seinen Autor

Der ungarische Schriftsteller, Dramatiker und Essayist István Eörsi ist tot. Der Talheimer Verlag trauert um den großen Ironiker, leidenschaftlichen Polemiker der undogmatischen ungarischen Linken und antistalinistischen Kulturschaffenden. Eörsi ist am 13. Oktober 2005 im Alter von 74 Jahren einer schweren Krankheit erlegen.

Der Schüler und enge Vertraute des marxistischen Philosophen Georg Lukács gehörte seit Mitte der 50er-Jahre der linken Opposition in Ungarn an. 1956 stand er auf der Seite der Revolution, war Verbindungsmann des ungarischen Schriftstellerverbandes zum Großbudapester Arbeiterrat und kämpfte für einen besseren, menschlichen Sozialismus. Bei der Niederschlagung des Aufstandes wurde er verhaftet und zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Nach seiner Amnestierung im August 1960 arbeitete Eörsi als freier Schriftsteller und Übersetzer, focht den alltäglichen Kampf mit der Zensur, blieb aber eine Randfigur des offiziellen literarischen Lebens. Der Grund: Er war nicht bereit, eine bereits 1957 von der überwiegenden Mehrheit der ungarischen Intellektuellen unterzeichnete Erklärung zu unterschreiben, in welcher der Einmarsch der Sowjets begrüßt wurde.

Eörsi gehörte in den 70er-Jahren zur sich langsam wieder organisierenden demokratischen Opposition, war Redakteur der Samizdat-Zeitschrift Beszelö und publizierte im Untergrund bissig-sarkastische Essays, Erzählungen, Gedichte und Theaterstücke, die zum Teil auch im Westen erschienen. 1982 erhielt er deshalb als einer der Wenigen in Ungarn offiziell Berufsverbot. Mitte der 80er-Jahre wurde ihm allerdings ein Auslandsstipendium genehmigt; er lebte vorübergehend in Westberlin. Nach der Wende 1989 engagierte er sich bei den linksliberalen Freien Demokraten (SzDSz), distanzierte sich aber, als diese begannen, mit der Partei der ehemaligen kommunistischen Machthaber taktische Bündnisse zu schließen.

Eörsi, der sich bis zuletzt als radikaler Liberaler verstand, hatte zeitlebens gegen Unrecht und Unterdrückung angeschrieben. In seinen Werken, die zu einem großen Teil mittlerweile auch auf deutsch erschienen sind, entlarvte er bis 1989 unermüdlich und mit bitterem Spott den Mythos von Ungarn als der "lustigen Baracke im östlichen Lager". Nach der Wende kämpfte er genauso gegen die alten Seilschaften wie gegen das Erstarken eines neuen Nationalismus in Ungarn.

Eines der letzten Interviews, das Eörsi gab, ist im Frühjahr dieses Jahres unter dem Titel "Die Westerweiterung der Utopie" in dem Band "Metamorphosen der Utopie. Rückblicke und Ausblicke nach Europa" im Talheimer Verlag erschienen. Eörsi war zur öffentlichen Präsentation des Buches am 24. November 2005 in Berlin als einer der Hauptredner eingeladen. Die Herausgeber, Inka Thunecke und Mathias Richter, sowie die Verleger, Irene Scherer und Welf Schröter, trauern um István Eörsi.

Mathias Richter, Inka Thunecke (Hg.)
Metamorphosen der Utopie
Rückblicke und Ausblicke nach Europa

talheimer, sammlung kritisches wissen Band 47 
2005, 400 Seiten, br., 28.00 EUR, ISBN 3-89376-111-X

Autobiographische Gespräche mit Karol Modzelewski, Dawid Warszawski, Helena Łuczywo, Radoslaw Gawlik, Jan Lityński, Jiří Dienstbier, Petr Uhl, Jiřina Šiklovà, Jaroslav Šabata, Miroslav Kusý, Martin M. Šimečka, György Dalos, János Kis, Gábor Havas, János Vargha und István Eörsi.

www.talheimer.de