Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Die Aufgabe einer prospektiv relevanten Orientierung im Philosophieren
2. Kommunikative Vernunft – die sozialanthropologisch und interkulturell notwendige Denkform
3. Karl Jaspers – Das „philosophische Grundwissen“ kommunikativer Vernunft
4. Jürgen Habermas – Die Theorie des kommunikativen Handelns
5. Kommunikative Vernunft – ein zentraler Bezugspunkt zwischen Karl Jaspers und Jürgen Habermas
6. Philosophie kommunikativer Vernunft – in weltbürgerlicher Absicht und humanistisch-sozialistischer Perspektive
7. Ernst Blochs Philosophie eines humanistischen Sozialismus
8. Demokratie und Sozialismus als politische Prinzipien kritischer Gesellschaftstheorie
9. Befreiung (Emanzipation) als praktisches Problem einer kritisch-utopischen Philosophie emanzipatorischer Praxis
10. Weltethos – Die Notwendigkeit einer anthropologisch-ethisch orientierten Philosophie kommunikativer Vernunft
Ausgewählte Literaturhinweise
Helmut Fahrenbach – Zur Person
Helmut Fahrenbach – Werkausgabe
Textauszug
Der spannungs- und konfliktreich „vernetzten“ Weltlage kann nur ein Denken und Handeln gerecht werden, das die Disparitäten und Spannungen zwischen Einheit und Differenz, Allgemeinem und Besonderem, Macht und Abhängigkeit durch eine die Verbindung und Verschiedenheit in der gegenwärtigen Welt zugleich wahrende und vermittelnde Sicht theoretisch zu erfassen und praktisch zum Abbau bzw. Ausgleich zu bringen versucht. Zur Klärung der damit gestellten Aufgaben ist auch Philosophie vonnöten, freilich nicht irgendeine, sondern eine Philosophie kommunikativer Vernunft, für die das dialektische Verhältnis von Einheit und Vielheit, Allgemeinem und Besonderem eine zentrale Reflexionsaufgabe darstellt und dies insbesondere im Hinblick auf die Ermöglichung der Verständigungs- und Kooperationsprozesse, die für die Entwicklung und den Bestand einer humanen, ausgleichenden Welteinheit in einer sozio-kulturell pluralistisch und politischökonomisch disparat verflochtenen Weltgesellschaft notwendig sind. Das heißt, in eine Formel gebracht: es bedarf einer Philosophie kommunikativer Vernunft in weltbürgerlicher Absicht und sozialistischer Perspektive.
Sich solchen Aufgaben zu stellen, wird aber nicht erst durch Erfordernisse der „äußeren“ Problemlage bewirkt, sondern entspringt dem Sinnverständnis des Philosophierens als eines auf Selbstverständigung und Handlungsorientierung der Menschen in ihrer Welt gerichteten Denkens. In diesem Sinn hatte Immanuel Kant den „Weltbegriff“ der Philosophie bestimmt, der als höchste Zweck- und Sinnbestimmung der Philosophie deren bloßen „Schulbegriff“ als Wissenschaft zwar in Anspruch nimmt, aber auf den höheren praktischen Vernunftzweck der „Bestimmung des Menschen“ in der Welt hin übergreift, um die Philosophie in ihrer „weltbürgerlichen Bedeutung“ und für das, was „jedermann notwendig interessiert“ zur Geltung zu bringen und zu bewähren. Und von Karl Marx und in der marxistisch und sozialistisch kritischen Tradition ist die praktische Intention der Philosophie auf die Kritik der kapitalistisch inhumanen gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Veränderung zu einer humaneren Welt hin radikalisiert und das praktische Vernunftinteresse der Philosophie in weltpolitischer Hinsicht und sozialistischer Perspektive verschärft worden.
Versucht man, die angedeutete Konzeption der Philosophie als eines welt- und praxisbezogenen Vernunftdenkens zu vergegenwärtigen, d.h. auf die Konstellationen der gegenwärtigen Philosophie zu beziehen, die wesentlich noch durch die des 20. Jahrhunderts bestimmt sind, dann erweisen sich zunächst einige Positionen zu einer auch nur adäquaten Erfassung, geschweige denn Lösung der heutigen Weltlage als untauglich: so einerseits das sogenannte „postmoderne“ und „kontextualistische“ Denken, beide selbst primär Symptome des Zerfalls ins Differente ohne tragfähigen Bezug zum Allgemeinen der Vernunft, und andererseits die traditionalistische Gegenposition eines metaphysisch-ontologischen Denkens, dessen abstrakt-universalistischer Vernunftbegriff in der unausweisbaren Einheit eines absoluten Seins- und Sinngrundes begründet sein soll.
Demgegenüber bedarf es philosophisch eines „nach-metaphysischen“ Vernunftbegriffs, der aufgrund seiner konkret-allgemeinen und kommunikativ-offenen Fassung in die Lage versetzt, die dialektisch-kritische Beziehung von Einheit und Vielheit, Allgemeinem und Besonderem zu denken, ohne ihr Verhältnis einseitig aufzulösen bzw. zu reduzieren oder es inhaltlich vorweg festzulegen. In diesem Sinn gibt es – zumal in der Kant-Tradition des 20. Jahrhunderts – bedeutende philosophische Positionen, in denen ein entsprechendes nach-metaphysisches Vernunftdenken entwickelt und auf die Weltlage bezogen worden ist. Dies gilt insbesondere für Georg Picht, Karl Jaspers, Jürgen Habermas – wenngleich natürlich für ein die Probleme der gegenwärtigen Welt reflektierendes Philosophieren noch weitere Namen zu nennen wären wie Bertrand Russell, Albert Schweitzer, Ernst Bloch, Jean-Paul Sartre und manche anderen; allerdings nicht die von Martin Heidegger und Ludwig Wittgenstein.“
Helmut Fahrenbach