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reihe texte aus der geschichte - Band 4, 5, 6 - Studienausgabesammlung kritisches wissen - Band 02

sammlung kritisches wissen - Band 01

Eberhard Braun

Grundrisse einer besseren Welt
Zur politischen Philosophie der Hoffnung

1997, 328 Seiten, br., 28,00 €
ISBN 978-3-89376-011-4 [ISBN 3-89376-011-3]

Der Autor und Schüler des Philosophen Ernst Bloch arbeitet die Aktualität der Blochschen Philosophie heraus und setzt sich mit dem Werk von Georg Lukács auseinander. Eberhard Braun (1941–2006) untersucht die Utopie-Potenziale der zeitgenössischen Gesellschaft. In zwölf Beiträgen entwickelt er seinen Weg zu einem politischen Denken der Hoffnung. Eberhard Braun versah den Band mit folgender Widmung: „Karola Bloch unserer couragierten Sozialistin mit dem großen Herzen zum Eingedenken.“

sammlung kritisches wissen - Band 01
( Talheimer Verlag )

€ 28.00 (inkl. 7 % MwSt.)


Inhaltsverzeichnis

 

Vorwort

Ist der Sozialismus am Ende?

Gesellschaftlicher Zugang: Die Beiträge

 



Naturrecht von unten – Gerechtigkeit von oben

Ein scholastischer Blick auf Aristoteles

Menschenrechte im Naturrecht

 



Grundlegung: Möglichkeit und Noch-Nicht-Sein

Traditionelle Ontologie und Ontologie des Noch-Nicht-Seins

Hoffnung und konkrete Utopie

„Alle Menschen, die ein beßres Leben wünschen, sollen aufstehn.“ Die Utopie des Systems

Das wilde Werk

Das Experiment Welt

 



Utopie in Naturbildern

Bedeutungen von Natur

Naturalisierung des Menschen – Humanisierung der Natur?

 



Ästhetisches, politisiert

Erbschaft dieser Zeit

 



Aufrechter Gang auf bewohnbarer Erde

Ein Lokalpatriot der Kultur

Freiheit und Natur

 



Die Arbeit im Bergwerk

Hoffnung auf ein unverhofftes Wiedersehen

 


Bloch-Editionen 

Verzeichnis der Schriften: Eberhard Braun

 



Aus dem Vorwort von Eberhard Braun: 

„‚Viele Kammern im Welthaus‘ war ein Leitspruch Ernst Blochs. Utopische Philosophie ist Experiment, Versuchsanordnung, Modellbildung. Bloch möchte Systematisches, den Zusammenhang nach einem Prinzip, welcher das Ganze in Ordnung bringen will, und Unterbrechendes, ja Disparates im offenen System einen. Es gibt viele Zugänge zur utopischen Philosophie, auch Seiteneinstiege, die quer stehen zu Systematischem, insbesondere das Ästhetische, das Einzelne, das einmalig herausragt, hervorragt. Alle haben sie ihre Berechtigung, aber auch ihre Grenzen.

Mein Zugang ist gesellschaftlich. Ich orientiere mich an Marxens ‚Kritik der politischen Ökonomie‘ und habe den Vierten Teil des Hauptwerks ‚Das Prinzip Hoffnung‘, zum programmatischen Titel auserkoren: ‚Grundrisse einer besseren Welt‘. Die ‚Beiträge zur politischen Philosophie der Hoffnung‘ kann man zunächst verstehen als ein Gebiet: Politische Philosophie ist in aristotelischer Absicht die ganze praktische Philosophie, welche Ethik und Politik einbegreift. Politische Philosophie kann aber auch ein Name sein für eine neue Annäherung an die Sache, den gesellschaftlichen Zugang. Alle Philosophie, welchen Inhalt auch immer sie annehmen mag, sei sie theoretisch oder praktisch, ethisch oder politisch, ist politisch; sie hat, bewußt oder bewußtlos, auf jeden Fall gesellschaftliche Ursprünge und Funktionen, und sei es in Form der Abkehr von der Politik. Dieser kritische Begriff politischer Philosophie enthüllt die je spezifischen gesellschaftlichen Ursprünge, Funktionen und Zwecke. Hier erst, im Außenverhältnis von Philosophie und Gesellschaft, treten die wirklichen Ursachen hervor, weshalb die interne Einteilung der Philosophie in Disziplinen vollzogen werden muß, etwa die in theoretische und praktische, in Ethik und Politik. Die Außenbeziehung von Gesellschaft und Philosophie ist in Wirklichkeit das Verhältnis des Ganzen zu einem ausgezeichneten Teil, welchem die Aufgabe zuwächst, die Gründe des Kosmos zu betrachten und nicht bloß das gesellschaftliche Ganze zu bedenken. Grundsätzlich aber gilt: Das Ursprungsproblem kann nur gesellschaftlich gelöst werden, wie es in der ‚Warenanalyse‘ versucht wurde. Wirtschaft ist selber Teil des gesellschaftlichen Ganzen in einer geschichtlich produzierten Struktur, ein Teil nur, der jedoch den Ausschlag gibt; Ökonomie prägt strukturell das Ganze, läßt sich aber auf Wirtschaft nicht reduzieren. […]

Die Reihe der Beiträge ‚Naturrecht von unten – Gerechtigkeit von oben‘ wird eröffnet mit dem Bezirk politischer Philosophie, den Bloch ‚Rechtsphilosophie‘ nennt, ein Thema gesellschaftlichen Zuschnitts. Er öffnet das Tor zu meiner Zungangsart. Im ersten Beitrag ‚Ein scholastischer Blick auf Aristoteles‘ erörtere ich Blochs Rezeption der politischen Philosophie des Aristoteles. Die scholastische kontrastiere ich gegen die historische der modernen Aristotelesforscher. Sie betrachten Texte kritisch in ihrem überlieferten tatsächlichen Bestand in ihrer Zufälligkeit als ein geschichtliches Phänomen. Aristoteles ist für sie nicht mehr der philosophische Lehrer kanonisch verpflichtender Wahrheit. Blochs Sicht ist auf selber scholastische Weise gegen die Scholastik gerichtet. Es folgt Thomas von Aquin, die Wertung aber dreht sich; sie ist gegenscholastisch – offenkundig ein Blick, der sich bricht. […]

In der Arbeit ‚Menschenrechte im Naturrecht‘ resümiere ich kurz und knapp wesentliche Gehalte von ‚Naturrecht und menschliche Würde‘. Es ist das früheste Dokument; ich trug es 1973 im Philosophischen Seminar der Tübinger Universität vor und erscheint zum erstenmal.

Die zweite Rubrik ‚Grundlegung: Möglichkeit und Noch-Nicht-Sein‘ ist zweifellos die gewichtigste. Der Aufsatz ‚Traditionelle Ontologie und Ontologie des Noch-Nicht-Seins‘ hat das Problem der Ontologie im geschichtlichen Durchgang von Aristoteles über die Neuzeit von Descartes bis zu Hegel im Visier. Mit Bloch belegte ich die These, Marx verkörpere einen epochalen Neubeginn, welchen die Ontologie des Noch-Nicht-Seins fortführe. Der letzte, vierte Teil erschien in der Festschrift ‚Utopie – Marxisme selon Ernst Bloch‘. Dieser Aufsatz überragt die andern nicht nur an Umfang, ich verfolge geschichtlich sehr weit gespannte Intentionen, greife die geschichtlichen Perioden der Philosophie hegelianisch zusammen an der Richtschnur der ontologischen Leitbegriffe ‚Möglichkeit‘ und ‚Wirklichkeit‘. Inzwischen trat mir das Vorläufige dieses Versuchs so schmerzlich vor Augen, daß ich die Untersuchung revidieren mußte, begrifflich wie stilistisch. Es kam mir darauf an, meine These über die epochale Differenz zwischen traditioneller Ontologie und der Ontologie des Noch-Nicht-Seins zu verteidigen. Die Schrift verfaßte ich 1975/76.

Mit dem Aufsatz ‚Hoffnung und konrete Utopie‘ wollte ich den Kern der Blochschen utopischen Philosophie treffen: die Grundlegung. Im zweiten Teil des Hauptwerks unterscheide ich – gewagt, wie ich gern zugebe, jedoch mit guten Gründen – vier Stadien der Grundlegung: die Anthropologie des Noch-Nicht-Bewußtseins, die Ontologie des Noch-Nicht-Seins, die Sozialutopie und schließlich die allumfassend kosmische Utopie, das Rätsel aller Rätsel, das Dunkel des gerade gelebten Augenblicks. Grundlegung ist kein Privileg einer besonderen philosophischen Wissenschaft, sie ist ‚interdisziplinär‘ – ein bevorzugter Ausdruck aus dem reichhaltigen Wortschatz Blochs. […]

Der ganz kleine Versuch ‚‚… etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat‘. Ernüchternde Betrachtungen zum finale furioso des Hauptwerks‘ ist konzipiert als ein Antidoton zum berauschend schönen Schluß, der wie der Donaustrom sich in den Ozean des Schwarzen Meers ergießt und jegliche Begriffsform dem Inhalt wie der Form nach überspült. Das Ende ist nicht das Ganze – ich betone es –, aber er wirft ein bezeichnendes ästhetisches Licht.

In ‚Hoffnung als Prinzip‘, einem Vortrag, den ich Ende der siebziger Jahre an der Katholischen Akademie in Hohenheim hielt, wollte ich antimarxistische Vorurteile abbauen und grenzte die utopische Philosophie gegen den Marxismus-Leninismus ab. Auch er wurde bisher noch nicht publiziert.

‚Das wilde Werk‘ ist eine Einführung von ‚Geist der Utopie‘ zur italienischen Ausgabe, worum mich Francesco Coppelotti, der Übersetzer, gebeten hatte. Ich skizzierte Blochs Vita bis zum ersten versuchten Hauptwerk mit Zeitkolorit, die Entstehungsgeschichte des Buchs und gab eine Kurzcharakteristik.

In ‚Experiment Welt‘ erörtere ich die Kategorienlehre des ‚Experimentum Mundi‘, Blochs letztem systematischem Buch, das sein Lebenswerk krönt. Ich analysiere nicht nur die fünf Kategoriengruppen und ihre spezifische Funktion im offenen System, mich interessiert ebenso das, was dieses System antreibt: der Wunsch und seine konstitutive Rolle, grammatisch gewendet: der Optativ, ontologisch: die objekt-reale Möglichkeit mit dem Weltziel des erfüllten Augenblicks. Mich beschäftigt die Rolle der Utopie. Überflügelt bei Bloch der absolute Wunsch nach dem erfüllten Augenblick die Begründungsfunktion selber? Die objektiv-reale Möglichkeit als absolute Möglichkeit, welche das Entstehen und Vergehen, die prozeßhafte Endlichkeit, die Vergänglichkeit selber vergehen läßt, hat die systemsprengende Form absoluter Formlosigkeit, die ozeanische Struktur der Strukturlosigkeit. Allerdings ist sie schlechterdings undenkbar. Betrifft die Offenheit lediglich Systemgehalte oder auch die Systemform selber, dann Index der Vergänglichkeit. Den Vortrag hielt ich 1987 auf einer Zagreber Tagung. […]

In die dritte Gruppe ‚Utopie in Naturbildern‘ sind zwei Beiträge eingefaßt: ‚Bedeutungen von Natur‘ und ‚Naturalisierung des Menschen – Humanisierung der Natur?‘ Ich differenziere Blochs Naturbegriff, unterscheide fünf Bedeutungen und kritisiere die letzte und höchste, die eschatologische. Bloch fordert eine Wesensverwandlung der Natur selbst, ein ‚hypothetisches Natursubjekt‘, das von sich aus die Humanisierung der Natur betreibt. Den Aufsatz schrieb ich Ende der siebziger Jahre, ergänzte den kritischen Teil Anfang der Achtziger und veröffentlichte ihn 1988.

‚Naturalisierung des Menschen – Humanisierung der Natur?‘ – der Titel mündet in ein Fragezeichen – hat Marxens ‚Pariser Manuskripte‘ von 1844 zum Thema, nicht die Philosophie Blochs selbst. Ich setzte den Aufsatz dennoch hierher, weil er Licht wirft auf mein Verhältnis zu Blochs Philosophie. ‚Naturalisierung des Menschen – Humanisierung der Natur‘ ist ein berühmtes Schlagwort, das auch Bloch häufig benutzt. Ich frage: was ist unter ‚Natur‘ zu verstehen? Bloch gebraucht den Begriff in allumfassend kosmischer Weite. Ich entgegne: das ist Marxens ursprüngliche Bedeutung nicht. Natur ist für den historischen Materialisten primär die innere Natur des Menschen. Der kosmische Sinn reduziert sich auf den Menschen, dem sein eigenes Wesen fremd geworden ist. Für beide ist das Verhältnis ein Chiasmus: Die zwei, die auf den ersten Blick fremd erscheinen, sind an sich eins. Die menschliche Bedeutung erweitert Bloch kosmisch. Humanisierung der Natur ist bei Marx sozialutopisch, bei Bloch hingegen kosmisch gefaßt – ein scheinbar ganz geringer Unterschied, aber mit großen Folgen. In der ‚Kritik der politischen Ökonomie‘ historisiert Marx die Idee des Wesens so tiefgreifend, daß sie nur noch die gegenwärtige historische Epoche betrifft: das gegenwärtige Wesen im gesellschaftlichen Ursprung ist Ware. […] In die Rubrik ‚Ästhetisches, politisiert‘ habe ich einen Beitrag aufgenommen, der ‚Erbschaft dieser Zeit‘ zum Gegenstand hat, ein Werk des Übergangs, erstmals 1935 publiziert, eine Sammlung von Aufsätzen und Artikeln, im Laufe der zwanziger und frühen dreißiger Jahre für Zeitungen und Zeitschriften verfaßt und zu einem Buch montiert. Bloch macht Montage in ihren Formen zum Problem ästhetischer Darstellung. Ich erörtere das gespannte Verhältnis von metaphysischer Grundlegung, ästhetischer Exposition im Detail und sozialistischen Folgen. Resultat: systematische, logisch bestimmte Architektonik um des Systems willen, beispielgebend Ästhetisches im kleinen mit paradoxen politischen Folgen. Der Beitrag ist ein Vortrag, den ich während dem Hamburger Ernst-Bloch-Symposion ‚Objektive Phantasie‘ 1985 hielt. Er wurde noch nicht veröffentlicht.

Mit der fünften Gruppe ‚Aufrechter Gang auf bewohnbarer Erde‘ möchte ich ein Signal setzen. Im ersten Beitrag stelle ich das Problem von Kontinuität und Bruch in Lukács’ Denken mit dem bezeichnenden Titel, den Bloch für seinen Jugendfreund fand: ‚Ein Lokalpatriot der Kultur‘. Zwei Werke habe ich im Blick: In seiner Epoche machenden Aufsatzsammlung von 1923 ‚Geschichte und Klassenbewußtsein. Studien über marxistische Dialektik‘ läßt Georg Lukács die neuzeitliche Philosophie, die er als Produkt der Verdinglichung charakterisiert, aus dem verdinglichenden Warenverhältnis entspringen. Die Wende zum Materialismus fällt erst ans Ende der zwanziger Jahre. Er sieht ein, daß sinnlich-gegenständliche Tätigkeit und Verdinglichung der Warenform eben nicht zusammenfallen, wobei Marxens ‚Ökonomisch-philosophische Manuskripte‘ die Hauptrolle spielten. Lukàcs kehrte zurück zur ontologischen Argumentation. Marxens Warenanalyse war der Schlüssel nicht mehr, was ich mit Hilfe seines Spätwerks ‚Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins‘ am Beispiel des Arbeitsbegriffs belege. Ich orientiere mich an der Sozialutopie, sehe Gesellschaft aber nicht als Gegensatz zur Natur, vielmehr ist die Einheit mit ihr historisches Maß der Industrialisierungsprozesse. Wir können unser Verhalten zur Natur ändern, nicht aber den Kosmos im ganzen, was keineswegs ausschließt, daß das praktische Verhalten zur eigenen inneren wie zur äußeren Natur unabsehbare gesellschaftliche Folgen haben kann.

Damit setze ich mich auseinander in ‚Freiheit und Natur‘. Ich vergleiche Blochs Ontologie des Noch-Nicht-Seins mit der Ontologie des gesellschaftlichen Seins. Beide verfahren ontologisch. Was ist das Wesen der Natur und ihr mögliches utopisches Ziel? Was ist das Wesen der Gesellschaft im allgemeinen und ihr mögliches utopisches Ziel? Ich kritisiere die ontolgische Form der Fragestellung beider. Meine These: Blochs Utopie greift zu weit aus, gemeindet Natur so weit ein, daß an ihr nichts Äußerliches mehr bleibt, Lukács’ Sozialutopie läßt Natur draußen und faßt den Gegenstand zu eng, letztlich idealistisch als ‚Zurückweichen der Naturschranke‘. Das Referat hielt ich mit wechselnden Titeln und Fassungen unter anderem vor dem Dubrovniker ‚Marx-Symposium‘ und 1985 auf der Tagung der Pariser Goethe-Gesellschaft ‚Verdinglichung und Utopie. Ernst Bloch und Georg Lukács 100 Jahre danach‘. […]

‚Die Arbeit im Bergwerk‘ beendet das Ganze, vollendet es aber nicht. Ich schließe mit der ‚Hoffnung auf ein unverhofftes Wiedersehen‘, spüre dem individuellen Produktionsgeheimnis Blochs nach in Gestalt eines Versuchs über Johann Peter Hebels Kalendergeschichte ‚Unverhofftes Wiedersehen‘: ‚Die schönste Geschichte der Welt‘, wie Bloch diese Erzählung hymnisch feiert. Aber: zwar weiß man, daß Gustave Flaubert Kleinbürger war, aber nicht jeder Kleinbürger war Flaubert. Das ist das Problem. Warum nimmt ein gegebener Inhalt diese Form an? Literatur, ein Geformtes, läßt auf Psychologie sich schlüssig nicht reduzieren. Ich untersuche drei Konzepte des Essays: Adornos ästhestische Theorie, Lukács’ neoklassizistischer Zugang zum Essay als ästhetischer Totalität, Benjamins Allegorie der Allegorie selbst und Blochs Nebenbei des utopisch unterbrechenden Essays, dargestellt an der Geschichte vom Bergwerk ‚Unverhofftes Wiedersehen‘. Den Aufsatz schrieb ich für dieses Bändchen.“










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